Einkommens-entwicklung in Wien – Anzeichen steigender sozial-räumlicher Polarisierung

Sozial-räumliche Polarisierung bezeichnet die zunehmende Auseinanderentwicklung unterschiedlicher Viertel in einer Stadt entlang sozioökonomischer Merkmale, wie z.B. Bildung, Stellung im Beruf oder Einkommen. Dieser Beitrag beschäftigt sich mit letzterem, i.e. der Polarisierung nach Einkommen.

Einkommensbezogene sozial-räumliche Polarisierung hat in vielen westlichen Städten seit den 1970er Jahren zugenommen. Die Gründe dafür sind vielschichtig: Globalisierung und die Restrukturierung von städtischen Arbeitsmärkten hin zu einer Dienstleistungsgesellschaft mit zunehmend auseinanderdriftenden Einkommen spielt eine Rolle. Anders gesagt, veränderte Strukturen des Arbeitsmarkts führen dazu, dass die Einkommen reicherer Haushalte zunehmend schneller wachsen als jene von ärmeren Haushalten. Ein anderer wichtiger Faktor betrifft den Wohnungsmarkt. Deregulierung und Kapitalisierung städtischer Wohnungsmärkte verstärkt sozial-räumliche Polarisierung. Mit dem zunehmenden Rückzug von Mietrechsregulierungen und sozialem Wohnbau einerseits und der steigenden Investition in attraktive Nachbarschaften andererseits, übersetzen sich soziale Polarisierungstendenzen zunehmend in räumliche Strukturen. Vereinfacht gesagt:Es gibt zunehmend attraktive Nachbarschaften mit hohem Wohnwert, die von reicheren Haushalten nachgefragt werden, und ärmere Haushalte, die sich das Wohnen in diesen Nachbarschaften immer weniger leisten können, bzw. aufgrund von Deregulierung weniger gut vor Marktkräften geschützt sind.

Vor einigen Tagen hat Mark Byrnes auf diesem Blog hier einen interessanten Beitrag zur Debatte veröffentlicht. Er zeigt, wie sich in Chicago die Einkommen über die letzten 40 Jahre auf Zählbezirksebene entwickelt haben. Die Ergebnisse zeigen ein klares Bild: Die reiche Innenstadt in Chicago wird immer reicher, während ärmere Teile der Stadt zurückbleiben.

In diesem Beitrag möchte ich einen kurzen Blick auf die Entwicklung in Wien zwischen 2002 und 2011 werfen. Sozial-räumliche Polarisierung ist in Wien historisch gesehen auf vergleichsweise niedrigem Niveau. Gründe dafür finden sich in der Arbeitsmarktstruktur, aber auch in sozialstaatlichen Maßnahmen, sowie in der interventionistischen Wohnungspolitik, die sozial-räumliche Mischung befördert hat. Doch wie hat sich die sozial-räumliche Struktur in Wien in den letzten Jahren entwickelt? Gibt es ähnliche Tendenzen wie in Chicago zu beobachten? Sind in Wien ebenfalls die reicheren Viertel reicher geworden und die Ärmeren ärmer?

Daten und Methode

Ich verwende für meine Analyse neue Daten aus der Lohnsteuerstatistik. Für die Jahre 2002 bis 2011 enthält das Datenset die durchschnittlichen Jahresnettoeinkommen von Personen nach Wiener Gemeindebezirken. Die Nettoeinkommen haben den Vorteil, dass unterschiedlich hohe Steuerbelastungen bereits herausgerechnet sind. Die Durchschnittswerte bringen Probleme mit sich: Erstens werden sie von Ausreißern nach oben und unten verzerrt. Andererseits, und damit zusammenhängend, geben sie keinen Aufschluss über die Streuung der Werte. Nichtsdestotrotz ermöglichen sie eine erste Annäherung an die gegebene Fragestellung.

In einem ersten Schritt vergleiche ich die Absolutwerte für das Jahr 2002, um herauszufinden, in welchen Bezirken die Einkommen hoch sind und in welchen niedrig. In einem zweiten Schritt berechne ich die relative Position der einzelnen Bezirke zum Wiener Durchschnittswert. Hierfür beziehe ich für jeden Bezirk den gegebenen Wert der durchschnittlichen Jahresnettolohnsumme auf den nach Bevölkerung gewichteten Durchschnittswert der gesamten Stadt. Ein Vergleich dieser relativen Anteile über die Zeit ermöglicht zu erkennen, wie sich die sozialräumliche Struktur nach Einkommen entwickelt hat.

Die Ausgangssituation: die sozial-räumliche Struktur nach Einkommen in Wien im Jahr 2002

Im Jahr 2002 zeigt die Einkommensverteilung nach Bezirken ein diverses Bild. Am meisten verdienen die Bewohner_innen des ersten Bezirks. Hier liegt das durchschnittliche Jahresnettoeinkommen bei 25.463€. Dicht gefolgt wird der 1. Bezirk vom 13. und 19. Bezirk. Am unteren Ende der Einkommen befinden sich die Bewohner_innen des 15. Bezirks. Das Durschnittseinkommen liegt hier bei 14.999€. Nur knapp höher sind die Einkommen im 20. Bezirk. Die Spannweite zwischen reichstem und ärmstem Bezirk ist beachtlich: Im Schnitt hat eine Person im 15. Bezirk rund 10.000 pro Jahr weniger zur Verfügung als eine Person im 1. Bezirk. Relativ gesehen verdient erstere im Schntt rund 59% des Einkommens einer Person im 1. Bezirk.

Einkommen 2002 in Wr. Gemeindebezirken
Bezirk Jahresdurschnittseinkommen in € Rang
1. Bezirk                                                      25.463 1
13. Bezirk                                                      23.914 2
19. Bezirk                                                      22.469 3
23. Bezirk                                                      20.799 4
18. Bezirk                                                      20.413 5
4. Bezirk                                                      20.325 6
8. Bezirk                                                      20.108 7
14. Bezirk                                                      19.511 8
9. Bezirk                                                      19.106 9
22. Bezirk                                                      18.915 10
6. Bezirk                                                      18.724 11
3. Bezirk                                                      18.701 12
7. Bezirk                                                      18.429 13
21. Bezirk                                                      17.977 14
17. Bezirk                                                      17.604 15
12. Bezirk                                                      16.950 16
11. Bezirk                                                      16.742 17
10. Bezirk                                                      16.707 18
2. Bezirk                                                      16.439 19
16. Bezirk                                                      16.330 20
5. Bezirk                                                      16.258 21
20. Bezirk                                                      15.696 22
15. Bezirk                                                      14.999 23

Die Entwicklung seit 2002

Seit 2002 sind klare Veränderungen erkennbar. Das durchschnittliche Einkommen in der Stadt stieg zwischen 2002 und 2011 von 18.800€ auf 21.700€. Dieses Wachstum ist allerdings nicht gleich auf die Bezirke verteilt.

Zwischen 2002 und 2005 wächst das durschnittliche Einkommen relativ zum gesamtstädtischen Durchschnitt stark im 1., 3., 6., 7. und 13. Vor allem die 2002 bereits reicheren Bezirke innerhalb des Gürtels haben also überdurchschnittliche Zugewinne. Zwischen 2005 und 2011 fallen vor allem die Bezirke 15., 16. und 10. zurück. Vor allem also 2002 bereits ärmere Bezirke außerhalb des Gürtels verlieren relativ gesehen. Im Vergleich von 2002 und 2011 ist eine stärkere sozial-räumliche Polarisierung nach Einkommen verglichen mit 2002 erkennbar. Insbesondere die positive Entwicklung der inneren Bezirke im Gegensatz zur negativen Entwicklung der gürtelnahen äußeren Bezirke ist auffallend. Die untenstehenden Karten verdeutlichen diese Entwicklung zwischen 2002 und 2005 bzw. 2005 und 2011. Die Tabelle unten zeigt die relative Entwicklung der Einkommen über die gesamte Periode 2002 bis 2011.

2002 2005

2011

Auffallend in der untenstehenden Tabelle ist vor allem der starke relative Anstieg der Einkommen im 1. Bezirk. Gemessen am gesamtstädtischen Durchschnitt sind sie zwischen 2002 und 2011 um 28% gestiegen. In absoluten Zahlen verdient eine Person im 1. Bezirk im Jahr 2011 im Schnitt um 8800 € mehr als noch 2002. Das sind – auf Monate umgerechnet – ungefähr 70€ netto mehr jedes Monat. Im Vergleich, im 15. Bezirk, dem ärmsten im Jahr 2002 ist das Durschnittseinkommen lediglich um 1400€ gestiegen – ungefähr 12€ netto mehr jedes Monat. (alle Absolutwerte nicht bereinigt um Inflation)

Veränderung Einkommen 2002 -2011 in Wr. Gemeindebezirken, relativ zum gesamtstädtischen Durchschnitt
Bezirk Veränderung Rang
1 28% 1
7 9% 2
3 5% 3
6 4% 4
13 4% 5
4 3% 6
18 3% 7
22 3% 8
9 3% 9
8 3% 10
2 1% 11
5 1% 12
11 0% 13
21 0% 14
19 0% 15
16 -1% 16
23 -1% 17
14 -2% 18
17 -2% 19
20 -2% 20
15 -3% 21
12 -4% 22
10 -5% 23

Conclusio und verbleibende Fragen

Die Analyse zeigt, dass auch in Wien sozial-räumliche Polarisierung nach Einkommen beobachtbar ist. In Bezirken mit bereits hohem Einkommen 2002 waren die Anstiege tendenziell höher als in jenen mit niedrigen Einkommen. Hierbei ist vor allem auffallend, dass es eine Entwicklung gibt, dass Bezirke innerhalb des Gürtels relativ gewinnen, während jene außerhalb, die an den Gürtel grenzen, zunehmend verlieren. Die Zugewinne in den Einkommen waren im 1. Bezirk, dem Bezirk mit den mit Abstand höchsten Einkommen bereits 2002, besonders stark.

Auf Basis dieser Analyse kann man keine Schlüsse über das “warum” ziehen in Bezug auf die steigenden Polarisierungstendenzen. Somit bleiben hier offene Fragen. Die Restrukturierung des Arbeitsmarkts, die zunehmende Ansiedlung von Dienstleistungsbetrieben insbesondere im Finanzsektor in der Stadt, spielen mit Sicherheit eine gewichtige Rolle (Stichwort Manager- vs. Angestelltengehälter). Anders gesagt, reichere Personen haben zunehmend mehr verdient als ärmere und da diese beiden Gruppen auch traditionell in verschiedenen Teilen der Stadt wohnen, zeigt sich die Einkommenspolarisierung auch zunehmend im räumlichen Muster. Diese Erklärung hat allerdings Grenzen. Mitzudenken ist, dass es auch Mobilität am Wohnungsmarkt gibt. Die starken durchschnittlichen Einkommenszuwächse in den inneren Bezirken lassen auch den Schluss zu, dass es hier einen steigenden Zuzug von reicheren Haushalten gibt, während ärmere Haushalte zunehmend ausziehen (müssen). Diese Hypothese deckt sich mit Sicherheit mit den kürzlichen Entwicklungen am Wohnungsmarkt. Hier gibt es, vor allem in der Innenstadt, eine steigende Dichte an “Luxuswohnungen” und Zuzug reicherer Haushalte. Gleichzeitig gewinnen lagebezogene Kriterien in der Mietpreisfestsetzung im Kontext einer Deregulierung des privaten Mietwohnungsmarkts kontinuierlich an Bedeutung. Die hohen Preise für Luxuswohnungen bringen damit, über den Umweg des Bodenpreises,  zunehmend auch ärmere MieterInnen unter Druck (z.B. über das 1994 eingeführte System der Lagezuschläge, siehe hier).

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