Die Stadt Wien und die Gentrifizierung. Oder: Wieso auch ich hoffe, dass von Thünens Stadtmodell nicht wahr wird

Heute war es also soweit. Es gab den ersten BürgerInnendialog  zum neuen Stadtentwicklungsplan in Wien. Eine Veranstaltung der Stadt Wien, unter Federführung von Maria Vassilakou, in dem BürgerInnen aktiv an der Gestaltung des STEP 2025 teilnehmen sollen. Gelebte Demokratie, also. Zumindest auf dem Papier. Aber dazu später ein bisschen mehr. Hier erst einmal ein paar generelle – persönliche – Eindrücke der Veranstaltung.

Die Location

Statt findet der Dialog “Wien wohin? Stadt entwickeln” im Wiener Odeon. Als ich reinkomme ist der Saal gesteckt voll. Später erfahre ich, dass es mehr als 350 Leute sind, die gekommen sind. Sitzplätze gibt es keine mehr. Die Moderatorin weist freundlich darauf hin, dass man sich auch vorne auf den Boden oder auf die Sessel hinter ihr auf der Bühne setzen kann – macht keiner. Nach kurzem Begrüßungsstatement der Vizebürgermeisterin, gefüllt mit grünen Wahlkampfforderungen wie etwa leistbarem Wohnraum, einer autofreien Stadt und – keine Überraschung – BürgerInnenbeteiligung, wird kurz das Format erklärt. Und dann kann es schon los gehen. Erster Programmpunkt: ExpertInneninputs.

Die Inputs

Die vier Inputs sind angelegt auf jeweils sieben Minuten. Halten daran werden sich schlussendlich nur zwei der vier RednerInnen. Drei der vier Inputs bleiben reichlich allgemein, einer wird sehr – wohl fast zu – spezifisch. Die drei allgemeinen drehen sich um die “soziale Dimension der Stadt” (es sollte schlussendlich lediglich um eine kurze Erläuterung von demographischen und segregationsbezogenen Trends in Wien gehen), um Freiraum (ein akademisch angehauchter Input über den Zusammenhang von gesellschaftlichen Werten und Freiräumen), und schließlich um irgendetwas mit Nachverdichtung, Grünraum, Asphalt und Hochhäusern – es bleibt mir bis zum Schluss unklar. Der vierte Beitrag schließlich – der etwas zu spezielle – behandelt den Zusammenhang von Architektur und Bildung. Da war wohl noch ein Vortrag in der Schublade…

Schön ist zu hören, dass – wenn auch zaghaft – ein paar kritische Töne anklingen. Einmal fällt sogar das Wort Gerechtigkeit. Die Rednerin druckst ein bisschen herum und entschuldigt sich fast es aufs Tapet zu bringen. Sie meint, dass sie sich jetzt einfach traue dieses große Wort auszusprechen. Sie erwähnt kurz die Frage nach Verlierern in der Stadtentwicklung. Mir kommt es fast kritisch vor. Ist ja durchaus was besonderes bei Veranstaltungen der Stadt Wien zum Thema Stadtentwicklung was Kritisches von offiziellen RednerInnen zu hören. Bei einer der letzten Veranstaltungen, die das Europaforum für die Stadt organisierte – Visionen fürs Wohnen oder so – musste ich sehr grinsen diesbezüglich. Da war der Herr Wurm eingeladen, der Sprecher der gemeinnützigen Bauträger. Alle RednerInnen sollten nur 4-5 Minuten reden. Herr Wurm wollte seine kurze Präsentation ein bisschen rechtfertigen, weil er doch viel auslassen würde. Er meinte, er habe, ganz nach den Vorgaben der VeranstalterInnen alles kritische aus der Präsentation rausgelassen. Hihi. Ein Schelm. Alles verraten. Heute hat eine Gerechtigkeit gesagt. Aber da waren wir schon. Nächster Programmpunkt: der BürgerInnendialog.

Der BürgerInnendialog 1

Nach den Inputs geht der Dialog so richtig los. Es soll abgestimmt werden mit elektronischen Geräten aus dem Publikum. Die Fragen werden vorne eingeblendet. Nicht alle haben Geräte. Ich auch nicht. Der Moderatorin versucht ein bisschen zu witzeln um zu überspielen, dass anscheinend viele garnicht mitstimmen können. Fragen gibts dann drei. Nachverdichtung oder Bauen auf der grünen Wiese? Ist Wachstum gut für die Lebensqualität oder nicht? Und dann mein Highlight: Soll die Stadt Wien in den nächsten Jahren massiv in Bildungs, Freizeit- und Sozialinfrastruktur investieren? Ich fühl mich ein bisschen wie bei der Volksbefragung. Ein wenig suggestiv die Frage. Die Moderatorin merkts auch. Lacht ein bisschen. Die Leute murmeln. Ein paar lachen. Aber es wird abgestimmt. Das Ergebnis ist uninteressant. Wie auch die Fragen. Neben mir sitzen ein paar jüngere Leute, die auch lachen. Weiter gehts. Nächster Programmpunkt: der BürgerInnendialog 2.

Der BürgerInnendialog 2

Jetzt gibt es zwei Fragerunden vom Publikum an die ExpertInnen. Immerhin. Bei der Wohnvisionveranstaltung waren Fragen explizit untersagt – “nicht Teil des Formats”. Es sollen aber trotzdem Fragen bleiben, keine Statements. “Keine Referate”, warnt die Moderatorin.

Die Fragerunde kommt langsam in Gang. Es dreht sich ein bissl was um einen BürgerInnenrat – wohl ein anderes Beteiligungsgremium von dem ein paar Leute da sind. Dann ein bissl was zu Widmungen und fehlender Beteiligung bei Projekten “auf der Wiesen”. Die Thematik ist total breit. So auch die Fragen. Der junge Mann neben mir rutscht herum. Er will unbedingt was sagen. Berät sich kurz mit seinem Nachbarn. “Sollen wir?”. “Ja, sicher.” Es wird noch ein bisschen dauern bis er was sagen kann. Je länger die Fragerunde dauert, desto kritischer werden die Meldungen. Am meisten Applaus bekommt ein Mann, der auf die Dummheit der gestellten Abstimmungsfragen hinweist. “Bitte intelligente Fragen”. Dann die etwas kritischeren Wortmeldungen: Versiegelung von Flächen, Verdrängung aus Gründerzeitvierteln, und mein Nachbar mit einer Frage zu Freiflächen für Landwirtschaftsinitiativen. Ein Herr, der ansetzt eine – fast schon radikale – Frage nach der Arbeitslosigkeit anzusprechen wird unterbrochen von der Moderatorin. “Ihre Minute ist um”. Dann die Antworten der ExpertInnen.

 Der Bürgerinnendialog 3

Die Antworten der ExpertInnen – die vier RednerInnen plus Vassilakou – sind kurz. Sie haben nicht viel Zeit. Der zweite Moderator – irgendein ORF Typ – verkennt ein bisschen seine Rolle und urteilt welche Fragen er zulässt, weil er sie als stadtentwicklungsrelevant befindet. Die Frage wie die Stadt Arbeitsplätze sicher kann? “Wohl kein Einfluss der Stadt – halte ich deshalb für irrelevant”. Total fehl am Platz.

Dann wird die Rednerin mit der Gerechtigkeit aufgefordert was zum Thema Verdrängung zu sagen. Sie entschuldigt sich nochmal fast ein bisschen, dass sie es genannt hat. Meint aber es ist schon wichtig. Aber vielleicht nicht Gerechtigkeit als Ziel. Vielleicht eher die Verhinderung von Ungerechtigkeit. Hmm. Das würde dann wohl wirklich jeder unterschreiben. Wer ist denn für Ungerechtigkeit bitte?

Dann soll die Vizebürgermeisterin zusammenfassen was sie mitgenommen hat. Das ganze soll ja einfließen in die Verfassung des Stadtentwicklungsplans – so die Zielvorgabe am Anfang des Abends. Die Abstimmungsfragen nimmt sie eher nicht mit. Sie entschuldigt sich ein bisschen für die suggestive Frage mit den öffentlichen Investments. “Finde ich auch ein bisschen komisch”. Das find ich jetzt aber irgendwie komisch. Ist doch ihre Veranstaltung? Wieso findet sie die Fragen komisch? Naja. Sie fasst zusammen. Witzig. Sie nimmt genau das mit, was sie am Anfang schon gesagt hat. Leistbares Wohen, BürgerInnenbeteiligung… und sie betont, dass BürgerInnenbeteiligung schwierig ist. Danke. Sollte man reinschreiben in den STEP.

Das Highlight

Das Highlight kommt aber vor Vassilakous Schlussrede. Der “Dialog”, der ja nie ein Dialog war, weil niemand aus dem Publikum der eine Frage gestellt hat auf die Antwort reagieren konnte, ist zu diesem Zeitpunkt bereits vorbei. Es sind keine Fragen mehr aus dem Publikum zugelassen. Dann tritt kurz der “technische Direktor” der Stadtplanung auf. Herr Madreiter. Stellt sich vor als der Chef der Gruppe Planung in der Baudirektion. Vorher hat gerade die Rednerin mit der Gerechtigkeit die Ungerechtigkeitssache gesagt.

Was nimmt der Herr Madreiter mit? Ich bin gespannt. Er ist direkt. Sagt was Sache ist. Finde ich gut. Gerechtigkeit? Ja, das denken sie natürlich schon mit in der Stadt. Wir wollen, dass es gerecht zu geht. Und dann: Wissen sie, meint er, sie müssen schon sehen, dass eine Standortpolitik schlussendlich wichtig ist. Es ist im Interesse aller, dass jeder Standort der bestmöglichen Nutzung zugeführt wird. Die Standorte mit der besten Ausstattung sollen bestmögich genutzt werden.

Die Sache mit von Thünen

Ha, jetzt ist es also raus. Mir fällt ein Artikel zu Gentrifizierung ein. Von Tom Slater. So ein britischer Geograph. Kritischer Typ. Echt jetzt. Der Artikel heißt: Why I want the von Thünen model to become not true. Von Thünen hatte dieses neoklassiche Ringmodell von Städten entworfen. Innen die teuersten Nutzungen, nach außen hin abfallend. Die politische Implikation? Organisieren wir die Stadt danach, dass die beste Nutzung in der Innenstadt ist, wohnen die Armen am Rand, die Reichen in der Stadt. Klar, die Reichen können ja mehr zahlen. Eine bessere Nutzung ist das Luxuspenthaus als der Gemeindebau. Deswegen meint Slater he wants the model not to become true. Me neither. Madreiter wohl schon.

Der Typ neben mir lacht. Vassilakou will eine abschließende Abstimmungsfrage. Sie wills ohne Abstimmungsgerät. Mit aufzeigen. Wollen sie eine Innenstadt ohne Autos? Die Leute stimmen in der Tat ab. Einer aus dem Publikum schreit, dass die Frage  intelligent ist. Vassilakou ist zufrieden. Ich gehe.

6 Kommentare

  1. Christoph sagt:

    Lieber Justin, ich war auch dort und kann dir weitgehend zustimmen. Die Standortaussage von Madreiter hab ich allerdings so in Erinnerung, dass er sich konkret und ausschlie

  2. Christoph said:

    Lieber Justin, ich war auch dort und kann dir weitgehend zustimmen. Die Standortaussage von Madreiter hab ich allerdings so in Erinnerung, dass er sich konkret und ausschlie

    at 10.53 on 24.05.2013
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  3. justin said:

    Lieber Christoph. Der comment ist leider nicht ganz angekommen – könntest du ihn nochmal senden?

    at 11.24 on 24.05.2013
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