Die Stadtgespräche sind eine monatliche Interviewreihe – entstanden aus Interviews die von Studierenden am Fachbereich Örtliche Raumplanung an der TU Wien geführt wurden. Die Stadtgespräche sollen zeigen wie Plannerinnen und Planer die Stadt und ihre Tätigkeit sehen, was sie sich wünschen und was sie sich von denen wünschen die ihnen eines Tages (nach)folgen werden.
Friedrich von Borries ist Architekt und lehrt Designtheorie und kuratorische Praxis an der Hochschule für bildende Künste Hamburg. In seinem Berliner Projektbüro arbeitet er mit einem interdiziplinären Team an aktuellen Fragen der Gestaltung und wirtschaftlichen Entwicklung. Weiters hat er nach zahlreichen Fachbüchern 2011 bei Suhrkamp einen Roman veröffentlicht.
Friedrich von Borries spricht über seine Berufsauffassung als hinterfragenden Gestalter von Lebensraum der Spaß für „die Ideologie der Wohlfühlgesellschaft” hält. Städte könne man sich nicht wünschen und ob man sie entwickeln könnte sei höchst fraglich. Die politische Entität Stadt ist angeblich nicht mehr relevant – und am Ende würden in einer partizipatorischen Wohlstandsgesellschaft die Entscheidungen meist doch nach rein ökonomischen Prämissen getroffen. Die Vision scheint düster. Und doch gibt es Hoffnung: darin „nicht brav und lieb” zu sein, weil in der Mikropolitik Gestaltung möglich scheint, darin von anderen insbesondere aus anderen Kulturen zu lernen und schließlich – überraschenderweise – in Bad Sickingen.
Friedrich von Borries ist heute im Rahmen der Reihe „Zukunft Stadt” an der TU Wien zu Gast und spricht über:
Entwerfen zwischen Fiktion, Imagination und Pragmatismus
Do., 17.1.2013 – 19.00h – TU Wien – Hauptgebäude, Karlsplatz 13, 1040 Wien – HS 7
Was ist Ihr Arbeitsschwerpunkt und in welcher Rolle sehen Sie sich dabei?
Ich verstehe meine Rolle so, dass ich Fragen stelle, während die klassische Stadtplanung vorgibt schon Antworten zu haben.
Arbeitsschwerpunkt ist die Gestaltung von Lebensraum. Dazu zählt Stadt für den Großteil der Menschen. Ich bin auch Architekt, arbeite aber mit anderen Mitteln und Methoden, als man das vielleicht klassischerweise als Architekt oder Stadtplaner lernt.
Unsere Arbeitsmethodik wenden wir in unterschiedlichen Kontexten an. Für Frankfurt und Berlin entwickeln wir im Moment großmaßstäblichen Leitbilder, aber wir realisieren auch kleinmaßstäbliche, interventionistische Projekte und temporäre Installationen.
Dabei hinterfragen wir Übereinkünfte und gucken hinter die Kulissen und Gewohnheiten. So kommen wir zu unseren Lösungen. Ich würde diesen Weg eher als forschenden Blick und weniger als klassisches Entwerfen beschreiben.
Was ist Ihre Lieblingsstadt?
Die Frage finde ich langweilig, weil ich nicht weiß was eine Lieblingsstadt ist. Ich würde gerne mal nach Tokio reisen, weil ich da noch nie war. Deshalb ist Tokio eine Lieblingsstadt, weil ich dort gerne wäre, aber noch nicht war. Berlin ist eine Stadt, in der ich sehr gerne wohne, insofern könnte Berlin meine Lieblingsstadt sein. In Los Angeles habe ich sehr gerne gelebt, eine tolle Stadt. Und Hamburg ist natürlich eine Lieblingsstadt, da mache ich meine Lieblingsarbeit. Aber was ist nun meine Lieblingsstadt.
Bad Sikingen! Bad Sikingen, da war ich noch nie und da will ich auch nie hin. Ich glaube das ist meine Lieblingsstadt. Ich hab auch keine Vorstellungen, was Bad Sikingen ist. Also Bad klingt finde ich gut, Bad Sikingen… Gibt es überhaupt Bad Sikingen? Ich finde Bad Sikingen ist eine gute Wahl.
Auf welches Projekt blicken Sie besonders gerne zurück?
Ich schaue prinzipiell lieber nach vorne, als zurück. Aber ich mag alle unsere Projekte. Ich bin zutiefst überzeugt von all den Fehlern, die wir in den Projekten gemacht haben. Insofern ist zurückblicken sehr wichtig.
Aber was heißt ‚gerne’ zurückblicken? Man kann über seine Projekte doch nicht reden wie über die letzten Sommerferien. Wenn ich jetzt sage, dass es mir Spaß macht, ein Zukunftsbild für Berlin zu entwickeln, dann ist das einfach unangebracht. Denn es geht nicht darum, ob ich Spaß habe oder nicht. Sondern es geht darum, ob Berlin eine gute Entwicklungsperspektive hat oder nicht.
Oder nehmen wir z.B. das Projekt „Heimatcontainer“ eine Ausstellung und ein Buch über Fertighäuser, die von jüdischen Flüchtlingen aus Deutschland mit in ihre neue Heimat mitgenommen wurden. Das war natürlich ein sehr spannendes und herausforderndes Projekt – aber da ist ‚gerne‘ einfach die falsche Kategorie. Das Projekt hat definitiv keinen Spaß gemacht. Ich habe daran gearbeitet, weil ich es wichtig finde, nicht, weil ich Spaß daran hatte. Spaß ist völlig überschätzt.
Spaß, das ist die Ideologie der Wohlfühlgesellschaft. Und ihr denkt anscheinend, wenn es Spaß macht, dann wird es schon schön und gut.
Die eigentliche Frage ist, ob ein Projekt ‚wichtig‘ ist, ob es Grenzen ausweitet, sich neuen Fragen stellt, neue Antworten gibt.
Im Jahr 2030 gibt es eine Sonderausgabe der FAZ oder des Standard zum Themenfeld „Stadtentwicklung“. Wie lautet sieht das Titelblatt aus?
Das weiß man halt noch nicht. Da kann sehr vieles drauf sein, auf der FAZ in 20 Jahren. Der beste FAZ Titel war ja der, als der genetische Code des Menschen dechiffriert wurde und die FAZ diesen Code einfach auf die Titelseite gesetzt hat. Die FAZ wird wahrscheinlich eine Ausgabe zum Untergang der europäischen Stadt machen. Ein Abgesang. Und Schirrmacher wird dann ungefähr 65 sein, das wird seine letzte Ausgabe.
Der Standard wird Papier einsparen und kein Titelbild mehr haben. Abgesehen davon, dass die 2030 sowieso alle keine Titelblätter mehr haben und gar nicht mehr aus Papier sind. Und Stadtentwicklung ist ein genauso furchtbar altmodischer Terminus wie Zeitung und Titelblatt. Denn was ist schon Stadt? Wir haben es immer weniger mit Städten zu tun, sondern mit verdichteten Agglomerationen, die etwas anderes sind als ‚Stadt“. Und die Behauptung, dass wir Städte entwickeln können, ist auch sehr fraglich. Für Stadtentwicklung werden wir in 20 Jahren einen anderen Begriff haben. Vielleicht eher Management der Agglomerationen.
Was würden Sie sich von der künftigen Stadt wünschen?
Ich finde sehr interessant, dass ihr eine Personalisierungsstrategie verfolgt, statt wirkliche Inhalte zu erfragen. Bislang habt ihr fast nur Wohlfühlfragen gestellt.
Man wünscht sich vielleicht was von seinen Eltern zu Weihnachten, und dann kriegt man Geschenke. Aber von Stadt wünscht man sich nicht etwas, sondern Stadt gestaltet man als ein Bewohner. Und da gibt es nichts zu wünschen, sondern etwas zu tun!
Die Stadt als solche ist kein Akteur und deshalb kann man sich von ihr nichts wünschen. Und bevor man sich was wünscht, kann man es doch selber machen. Ich würde mir von der künftigen Stadtgestaltergeneration wünschen, dass sie Stadt einfach machen. Das ist wesentlich effektiver als sich was von der Stadt zu wünschen und sich dann zu wundern, dass die Stadt nicht antwortet.
Was bedeutet (gelungene) „Stadtentwicklung“ für Sie?
Wann reden wir wo über Stadt? Hier haben wir teilweise noch Städte, trotzdem ist die politische Entität ‚Stadt‘ ist nicht mehr relevant.. Das, was man mal als Stadtentwicklung verstanden hat, nämlich eine Planung der öffentlichen Hand funktional, politisch und ökonomisch tatsächlich durchzusetzen, ist heute schwer als Stadtentwicklung zu bezeichnen. Bei uns ist die öffentliche Hand letztlich nicht mehr der wesentliche Akteur. In unserer partizipatorischen Wohlstandsgesellschaft will jeder ein bisschen mitreden und vordergründig gibt es Demokratie und Gleichberechtigung. In Wirklichkeit werden Entscheidungen meist dann doch nach rein ökonomischen Prämissen getroffen.
Ein weiterer Punkt, der den Terminus Stadtentwicklung so schwierig macht, ist, das der Begriff aus einer Zeit kommt, in der Städte gewachsen sind. In Mitteleuropa stellt sich die Frage, unter welchen Bedingungen und in welcher Form Stadt wächst. Da zeichnen sich mehrere Szenarien ab, je nach dem was wir für eine Einwanderungspolitik haben. Es ist aber noch unabsehbar, ob wir uns völlig abkapseln und eher mit schrumpfenden Städten zu tun haben oder ob wir uns öffnen und dann in partiell extrem stark wachsenden Städten leben.
Der letzte wesentliche Punkt ist die Begrifflichkeit von Stadt. Stadt ist ein uralter Begriff und der war mal sehr präzise, aber immer unschärfer geworden. Die Definition von Stadt ist schon für Europa schwierig und wenn man dann nach Asien, Afrika oder Südamerika geht, mit diesen völlig unkontrolliert wuchernden Agglomerationen von Menschen und ihren unterschiedlichen Wohnformen, da hilft unsere Begrifflichkeit von Stadtentwicklung überhaupt nicht weiter.
Welche Fähigkeiten muss man haben, um in der Stadtentwicklung erfolgreich zu sein?
Keine.
Verliert die Planung ihre aktive Gestaltungskompetenz und droht zum passiven Kompromiss-Management zu verkommen?
Vor allem in ‚der‘ ‚europäischen‘ ‚Stadt‘ ist das im Moment so. Wir haben eine bestimmte Vorstellung von Stadtpolitik und Stadtverwaltung, wobei wir keine starke planende Stadtverwaltung mehr haben. In anderen räumlichen Kontexten ist es aufgrund der dynamischen Wachstumsgebiete nicht anders möglich. Dort wird Planung dem nicht Herr und verfügt nicht über entsprechende Instrumente. Die müssen dort überhaupt erst entwickelt werden, um aktiv etwas zu gestalten.
Auf einer mikropolitischen Ebene stimmt es nicht, weil jeder selber gestalten kann. Zumindest in manchen Städten, wie beispielsweise Berlin, gibt es viele Freiräume, um aktiv Stadt mitzugestalten.
Lässt sich Stadtentwicklungs-KnowHow exportieren?
Ich finde exportieren ist langweilig. Da ist man wieder bei ‚gelungen’ und ‚’. Aber welche Stadtentwicklung war denn in den letzten Jahren erfolgreich in Europa? Alles was hier in Berlin Stadtentwicklung ist, ist in die Hose gegangen. Potsdamer Platz, Mediaspree, diese Berliner Townhouses und so manches andere. Das braucht man nicht exportieren.
Es wurde auch schon so viel exportiert. Die ganzen Kolonialstädte. Export ist wachstumsorientiert und ich glaube, da will man euch belügen, euch die Hoffnung machen, ihr werdet irgendwann mal exportiert, damit ihr irgendwo noch ‚Stadtentwicklung‘ machen könnt.
Wir sollten jetzt mal importieren, das wäre spannend. Es kann sein, dass wir irgendwann Leute aus Südamerika haben, die uns erklären wie wir mit unseren Flüchtlingsströmen zurechtkommen, oder dass wir afrikanische Stadtplaner importieren, oder Inder oder Chinesen. Dabei können und müssen wir von anderen Lernen. Wir versuchen gerade in einem Projekt verstärkt urbane Landwirtschaft zu importieren – das kommt dann aus Kuba. Wir haben genug Flächen und leider immer mehr arme Leute. Einige deutsche Städte werden Subsistenzwirtschaft und andere Strategien der Armutsbewältigung importieren müssen,
Worauf würden Sie mehr bzw. weniger Wert in der Ausbildung von Städtebauern und Raumplanern legen?
Ich finde das Wort Städtebauer gut, weil da der Bauer drin steckt. Wir sollten Stadtentwicklung umbenennen in Städtebauernkunst. Es geht darum, die bäuerliche Lebensart, die aus der europäischen Stadt vertrieben wurde, wieder zurück zu bringen. Was Raumplanung ist weiß, ich leider nicht, klingt aber toll. Es gab mal Versuche, ver das mit Zeit in Zusammenhang zu bringen, dann wurde über Raum-Zeitplanung gesprochen. Das finde ich einen schöneren Begriff als Raumplanung.
Die Studenten sollen das mal studieren und sich ihre eigenen Gedanken machen, was ein sinnvolles Lebensumfeld wäre. Dann sollen sie sich das nicht zu wünschen, sondern damit anfangen. Der weiterer Rat an die PlanerInnen wäre, sich selbst zu überlegen: Was würde ich gerne forschen, woran würde ich gerne arbeiten, was würde ich gerne rausfinden, welche Gestaltungskompetenz hätte ich gerne? Man muss seinen Arbeitsschwerpunkt selber definieren und seine Forschungsaufträge selber vergeben. Also vor allem machen, tätig und aktiv werden.
Ich glaube nicht, dass man mit diesen braven Fragen Antworten auf schwierige Probleme findet. Deshalb wäre auch das mein Rat: Seit nicht brav und lieb und sucht nicht nur nach Spaß. Damit wird man angesichts der ökonomischen und manipulativen politischen Strukturen in denen wir heute leben, relevante Antworten finden. Da kannst du dir deine Nische basteln, in der du glaubst, du seist alternativ, gerecht, sozial und ein bisschen besser als deine Eltern. Aber wirklich etwas verändern wirst du damit nicht.
Welches Buch würden Sie „Stadtentwicklern“ ganz besonders empfehlen?
„Weltrevolution in 365 Tagen. Versuch über das Unmögliche“.
Wir danken den InterviewerInnen für die geleistete Arbeit, dem Fachbereich für Örtliche Raumplanung für die Kooperation und die InterviewpartnerInnen für ihr Einverständnis zur Publikation.