In den letzten Tagen hat sich eine Karte mit Mietpreisen in Wien im Web verbreitet. Die Karte zeigt das Wiener Ubahnnetz und die durchschnittlichen Angebotsmieten rund um die Ubahnstationen. Veröffentlicht wurde sie von der Webplattform Zoomsquare, die Unterstützung für die Immobiliensuche durch eine neue Suchmaschine verspricht. Auch wenn die Methodik hinter der Karte nicht vollkommen klar ist – etwa in Bezug darauf wie groß der Bereich “rund” um die Ubahnstationen definiert ist – wurde sie von einer Reihe von Newsportalen übernommen, wie hier von ORF.AT.
Die Karte zeigt einerseits eine, nicht besonders überraschende, Variation der Mietprese entlang von Ubahnstationen. Andererseits zeigt sie, wie hoch die Mietpreise in der Stadt mittlerweile gestiegen sind. Die geringsten Mieten gibt es dabei noch rund um die Haltestellen Hütteldorf, Alterlaa und Erlaar Straße, mit 11,9€/m2. Am meisten zahlt man rund um die U3 Station Stubentor – mit stolzen 19,7€/m2.
So interessant die Karte auf den ersten Blick erscheint, aus Sicht der MieterInnen und Mieter in der Stadt ist sie wenig aussagekräftig. Die wichtige Frage für sie ist weniger, wie hoch die Mieten bereits sind, sondern viel mehr, für wen sie noch leistbar sind. Diesbezüglich bereitet die Karte eine interessante Basis für ein schnelles Rechenbeispiel.
Leistbarkeit bezieht sich auf das Verhältnis von Wohnkosten und Einkommen. Unterschiedliche Maße sind hierfür entwickelt worden. Das am häufigsten verwendete ist das Verhältnis von Wohnkosten zu Einkommen. Zumeist wird davon ausgegangen, dass ein Anteil von Wohnkosten am Einkommen von bis zu 25% leistbar ist, wie es etwa auch die Statistik Austria tut. Wir ziehen dieses Maß heran, nehmen aber einen konservativeren Anteil von 30% an.
Für die Berechnung der Leistbarkeit auf Basis der Mietenkarte ist noch eine Einkommensstatistik notwendig. Hier ziehen wir die Lohn- und Einkommenssteuerstatistik heran (Siehe Tabelle unten). Diese bietet Information über die Gesamteinkommen (inklusive Transferleistungen und Pensionen). Auch hier handelt es sich um ein tendenziell konservatives Einkommensmaß, da es sich um Bruttoeinkommen handelt, also die Steuern noch nicht weggerechnet sind. (Das führt bei den geringsten Einkommen kaum zu Verzerrungen, da hier die Einkommen vielfach zu niedrig sind, dass Personen Steuern zahlen. Allerdings werden die Einkommen darüber verzerrt, i.e. zu hoch dargestellt.). Die Tabelle unten zeigt die Gesamteinkommen in Wien in Größenkategorien (Spalte 1), sowie die Anzahl der EinkommensbezieherInnen in der jeweiligen Kategorie (Spalte 2). Die letzte Spalte (3) zeigt den kumulierten Prozentsatz der EinkommensbezieherInnen. Aus ihr lässt sich damit herauslesen, wie hoch der insgesamte Anteil der Bevölkerung ist, der weniger als ein bestimmtes Einkommen zur Verfügung hat.
Gesamteinkommen 2010 | EinkommensbezieherInnen (Anzahl) | Kumulierte % der EinkommensbezieherInnen |
negativ | 6.983 | 0,6% |
0 bis 2000 | 49.956 | 4,6% |
2000 – 4000 | 40.509 | 7,9% |
4000 – 6000 | 45.817 | 11,6% |
6000 – 8000 | 47.652 | 15,5% |
8000 – 10000 | 54.466 | 19,9% |
10000 – 12000 | 72.891 | 25,8% |
12000 – 15000 | 103.492 | 34,2% |
15000 – 20000 | 168.887 | 47,9% |
20000 – 25000 | 156.500 | 60,5% |
25000 – 30000 | 130.021 | 71,1% |
30000 – 40000 | 158.564 | 83,9% |
40000 – 50000 | 75.664 | 90,0% |
50000 – 70000 | 64.062 | 95,2% |
70000 – 100000 | 34.024 | 98,0% |
10000 – 150000 | 14.888 | 99,2% |
150000 – 200000 | 4.660 | 99,6% |
>200000 | 5.313 | 100,0% |
Quelle: Integrierte Lohn- und Einkommenssteuerstatistik.
Für unsere Berechnung gehen wir von einem Flächenbedarf von 40m2 / Person aus. Nimmt man nun die Mietenkarte und bezieht sie auf die Einkommensstatistik zeigt sich, wie unleistbar die Stadt mittlerweile geworden ist. Die geringste Miete etwa, von 11,9€/m2 ist für die ärmsten 34% der EinkommensbezieherInnen nicht leistbar. Die Gesamtmiete für die Wohnung / Jahr übersteigt hier 30% des Gesamteinkommens, was zumindest 15,000 Euro betragen muss. Den durchschnittlichen Mietpreis von 15€/m2 können sich rund 47,9% der EinkommensbezieherInnen nicht leisten. Die teuersten Mieten können sich sogar 60.5% nicht leisten. Untenstehend für ein paar ausgewählte Miethöhen aus der Mietkarte eine Berechnung, wie unleistbar diese Mieten sind.
Miete/m2 | Gesamtmiete für Wohnung / Jahr | Leistbar für Personen mit Gesamteinkommen größer … | Anteil der EinkommensbezieherInnen mit zu geringem Gesamteinkommen für leistbare Wohnung |
11,9 | 5712 | 15000 | 34,2% |
12,8 | 6144 | 20000 | 47,9% |
13,1 | 6288 | 20000 | 47,9% |
13,4 | 6432 | 20000 | 47,9% |
15 | 7200 | 20000 | 47,9% |
18,5 | 8880 | 25000 | 60,5% |
19,7 | 9456 | 25000 | 60,5% |
Quelle: Eigene Berechnung.
Aus MieterInnensicht bietet diese schnelle Rechnung eine weitaus informativere Einsicht in die Wohnsituation als die von zoomsquare veröffentlichte Karte. Zeigt sie doch das akute Leistbarkeitsproblem, das mittlerweile in der Stadt besteht. Für rund ein Drittel der EinkommensbezieherInnen (mit Bruttoeinkommen!) ist die günstigste Miete in der Stadt nicht leistbar!
Klar ist, dass die Mietenkarte durchschnittliche Preise von Wohnungen im Umkreis von Ubahnstationen angibt (wie auch immer Umkreis definiert ist). Wie bei allen Durchschnittswerten gibt es also hier auch Wohnungen, in denen die Miete niedriger liegt – und damit leistbarer ist. Gleichzeitig gibt es auch Wohnungen die nicht direkt im Umkreis der Ubahnen sind und günstigere Mieten haben. Dass es aber mittlerweile heißt, dass ein Drittel der Bevölkerung eine unterdurchschnittlich teure – und damit in der Regel auch ausgestattete – Wohnung suchen muss, die nicht im Umkreis einer Ubahn liegt, um etwas leistbares zu finden ist alarmierend.
Eine zweite Einschränkung der Rechnung liegt darin, dass die Mietenkarte nur den privaten Mietwohnungssektor darstellt und damit keine Wohnungen im sozialen Wohnungsbau (Gemeinde- oder Genossenschaftswohnungen), in denen die Mieten signifikant niedriger sind. Dieser Sektor macht rund 42% der Wohnungen aus. Allerdings gibt es viele Leute, besonders neu in die Stadt Zugezogene, für die der private Mietwohnungssektor oftmals als einzige Alternative besteht (sei es aufgrund von Wartefristen und Wartelisten im Gemeindebau oder hohen Eigenmittelanforderungen im genossenschaftlichen Wohnbau).
Justin Kadi ist Postdoc-Fellow am Institut für Europäische Urbanistik an der Bauhaus-Universität Weimar. Er forscht zu sozialer Ungleichheit, Wohnungspolitik und Gentrifizierung.