Die Wiener Gemeinderatswahlen rücken näher und die politischen Vorbereitungen nehmen zunehmend an Fahrt auf. Die SPÖ hat vor kurzem mit der Forderung für ein “Wahlrecht für alle” aufhorchen lassen. Das Problem ist schnell zusammengefasst: Ausländische StaatsbürgerInnen sind in Österreich grundsätzlich von Wahlen ausgeschlossen – mit der geringfügigen Ausnahme in Wien, wo Personen aus anderen EU-Staaten ihre Stimme auf der untersten Vertretungsebene, der Bezirksvertretung, abgeben können.
Demokratiepolitisch ein Thema ist die Einschränkung des Wahlrechts auf ÖsterreicherInnen insbesonders in der Bundeshauptstadt, wo der MigrantInnenanteil überdurchschnittlich hoch ist. Laut Bevölkerungsevidenz der Statistik Austria waren im Jahr 2015 rund ein Viertel der WienerInnen ohne österreichische Staatsbürgerschaft (25,6%) und damit ohne formale demokratische Partizipationsmöglichkeit. Rund die Hälfte dieser Gruppe (11,2%) sind EU-BürgerInnen mit Wahlrecht auf Bezirksbene. Von Gemeinde- bzw. Nationalratswahlen bleiben sie ebenso ausgeschlossen wie die 14,4% der WienerInnen aus einem Nicht-EU Land, die nicht mal an der – legistisch gesehen relativ unbedeutenden – Bezirksvertretungswahl teilnehmen können. Mit der steigenden Zuwanderung in die Bundeshauptstadt hat sich das demokratische Defizit in der Stadt in den letzten Jahren rasant verschärft. Ist es heute jeder Vierte, war im Jahr 2002 noch rund jeder Sechtse in der Stadt ohne Wahlrecht (16%).
Anteil der Wiener Wohnbevölkerung mit eingeschränktem Wahlrecht und ohne Wahlrecht 2002 – 2015
Quelle: Statistik Austria, Bevölkerung nach Staatsangehörigkeit Wien, eigene Darstellung.
Die Geographie der Exklusion
Die Verteilung der Personen ohne Wahlrecht auf Gemeinde- bzw. Nationalratsebene in Wien ist hochgradig ungleich. Auf Bezirksebene etwa können im 23. Bezirk lediglich 13% der Bevölkerung nicht wählen – der niedrigste Wert aller Bezirke. Im Vergleich dazu sind es im 15. Bezirk, der den höchsten Wert aufweist, rund 37% (Siehe Grafik 2). 11 der 23 Wiener Bezirke haben einen Anteil der über dem stadtweiten Durchschnitt von 25,6% liegt.
Anteil der Wohnbevölkerung ohne Wahlrecht bei Gemeinde- bzw. Nationalratswahlen nach Bezirken, Stand Juli 2013
Quelle: Magistratsabteilung 23, eigene Darstellung.
Auf Ebene der Zählgebiete – ein Zählgebiet ist die statistische räumliche Einheit unterhalb der Bezirke – zeigt sich die Konzentration der Exklusion in einzelnen Vierteln der Stadt besonders deutlich. Wie die untenstehende Karte aus dem Wiener Integrations- und Diversitätsmonitor verdeutlicht, gibt es eine Reihe an Zählgebieten, in denen der Anteil an Wahlberechtigten nicht nur unter 50% liegt – in dem also mehr Leute wohnen, die nicht wählen dürfen, als Leute, die wählen dürfen – sondern bereits unter 25% der Wohnbevölkerung. Hier ist also nicht mehr jeder Vierte ohne Wahlrecht – hier hat lediglich jeder Vierte ein Wahlrecht. Besonders in den Vierteln außerhalb des Gürtels (15. und 16. Bezirk) sowie im 10. Bezirk finden sich eine Reihe dieser Gebiete.
Anteil der zu Gemeinde- und Nationalratswahlen wahlberechtigten Personen an der Wohnbevölkerung im wahlfähigen Alter auf Ebene der Wiener Zählgebiete, 2013
Quelle: 3. Wiener Integrations- und Diversitätsmonitor, Magistratsabteilung 17, Seite 69.
Die Rolle des Wohnungsmarkts
Ein nicht unerheblicher Faktor für diese Konzentration ist die Struktur des Wiener Wohnungsmarkts. Die Gebiete in denen die Exklusion vom Wahlrecht besonders hoch ist sind die Gebiete, in denen es noch relativ leistbare Wohnungen im privaten Mietwohnungsmarkt gibt. In vielen Fällen sind diese Wohnungen die einzige Wahl für neu ankommende Personen ohne österreichische Staatsbürgerschaft – sofern sie nicht bei Freunden oder Bekannten unterkommen. Vom Gemeindebau sind Nicht-EU-StaatsbürgerInnen etwa für zumindest fünf Jahre nach Zuzug in die Stadt ausgeschlossen (und dann müssen sie noch eine Warteliste abwarten). Der gemeinnützige Wohnbau hat hohe finanzielle Eintrittsbarrieren (Eigenmittel!), die für viele ZuzüglerInnen nicht aufzubringen sind (und Kredite mit niedrigen Zinsen von der Stadt erhalten sie erst nach fünf Jahren). Darüber hinaus ist der private Mietwohnungsmarkt innerhalb des Gürtels in den letzten Jahren zunehmend unleistbar geworden (Stichwort sanfte Stadterneuerung, Etablierung von Wohnungen als Finanz- und Anlageprodukt, Lagezuschläge und wiederholte Neuabschlüsse von befristeten Verträgen). Die Kostenspirale hat längst auch außerhalb des Gürtels angezogen. Vergleichsweise, allerdings, finden sich dort noch immer günstigere Mieten, in denen Personen ohne Staatsbürgerschaft Wohnraum finden (in vielen Fällen allerdings zu immer noch diskriminierend überhöhten Preisen).
Demokratiepolitische Implikationen
Demokratiepolitisch ist es klarerweise hoch problematisch, wenn ein steigender Anteil an Leuten in einer Stadt keine Mitbestimmung über die politische, soziale und kulturelle Gestaltung hat und sich als Gruppe kein Gehör verschaffen kann. Die räumliche Konzentration der Exklusion birgt zusätzlich die Gefahr, dass sich die Vernachlässigung einer Gruppe in die Vernachlässigung eines räumlichen Viertels weiterentwickelt – da das Viertel keine politische Vertretung hat. Die Konzentration in den Gründerzeitvierteln erscheint dabei speziell problematisch. Die politische Vertretung, die Entscheidungen trifft, die für diese Viertel hoch relevant sind, nämlich etwa der Nationalrat, der das bundesweite Mietrecht beschließt, wird vor allem von Leuten gewählt, die nicht in diesen Gebieten wohnen, beziehungsweise von den Entscheidungen nur bedingt betroffen sind. Hier zeichnet sich eine Entwicklung ab, die man als ‘politisch-räumliche Diskriminierung’ bezeichnen könnte. Personen in diesen Vierteln sind vorwiegend nicht wahlberechtigt. Gleichzeitig wählen Wahlberechtigte, die zu einem hohen Maß in anderen Vierteln wohnen, politische Vertretungen, die Entscheidungen treffen, die besonders relevant sind für Viertel, in denen vor allem Personen ohne Wahlrecht wohnen.
Für die Wien-Wahl ist es bereits zu spät
Es ist übrigens kein Zufall, dass besonders die Wiener SPÖ das Thema ‘Wahlrecht für alle’ aufs Tapet bringt. Sie kann traditionell bei MigrantInnengruppen punkten und eine Ausweitung der Wählerschaft würde damit vor allem ihr zusätzliche Stimmen bei der anstehenden Gemeinderatswahl bringen. Bereits 2002 hatte die SPÖ zusammen mit den Stimmen der Grünen das Wahlrecht auf kommunaler Ebene in Wien kurzzeitig eingeführt. Es wurde allerdings wenig später vom Verfassungsgerichtshof gekippt. Darüber, so die Richter, müsse das Parlament, mit Zwei-Drittel-Mehrheit entscheiden. ÖVP und FPÖ haben sich gegen einen solchen Beschluss bisher erfolgreich gewehrt.
Dass die Wiener SPÖ die Diskussion jetzt, drei Monate vor der Wahl anstößt wirft aber auch die Frage auf, für wie dringend sie das Problem erachtet. Realistisch ist eine Durchsetzung auf Bundesebene in der kurzen Zeit allemal nicht. Möglich auch, dass die SPÖ Bundespartei sich derzeit gegen eine breitere Thematisierung auf Bundesebene verwehrt. Stärker erscheint dort doch momentan der Wille eine klare Abgrenzung von der FPÖ und einer ausländerfeindlichen Haltung aus wahltaktischem Kalkül zu vermeiden.
Justin Kadi ist Stadtforscher an der Universität Amsterdam. Er forscht und bloggt zu den Themen Gentrifizierung, Wohnungspolitik und soziale Ungleichheit.