Urban Gardening Initiativen haben in den letzten Jahren rasant zugenommen – auch in Wien. Diese Initiativen bewegen sich in einem Spannungsfeld: was oft als Form der bottom-up Stadtentwicklung beginnt, mit dem Ziel eine andere Stadt “von unten” zu initiieren, wird in vielen Fällen schnell für kapitalistische Zwecke instrumentalisiert. Gastautorin Stefanie Ibinger beschäftigt sich mit eben diesem Spannungsfeld im folgenden Essay.
Einleitung
Die Stadt Wien fördert seit 2010 unter der Regierungsbeteiligung der Grünen bestehende und neue Gemeinschaftsgärten und hat so zeitgerecht auf das immer mehr aufflammende Bedürfnis der Bewohner_innen Wiens (und weltweiter Stadtbewohner_innen), selbst Gemüse anzubauen und gemeinschaftlich Grünraum zu schaffen, reagiert[1]. Die Frage, inwiefern diese Initiative der Stadt auch als Reaktion auf die lokale Guerilla Gardening-Bewegung[2] zu sehen ist oder sie die ihr inneliegende Kraft zur Revitalisierung und Kommerzialisierung von Stadtteilen erkannt hat, kann an dieser Stelle nur spekulativ in den Raum gestellt werden. Unbestritten ist aber, dass auch Bemühungen auf individueller oder klein-gemeinschaftlicher Ebene radikalere Veränderungen herbeiführen können „by challenging and transforming dominant modes of living.“ (Möhrs et al. 2013, 121) Doch wie lange bleiben solche Veränderungen im Sinne der Bevölkerung? Wie lange werden diese Veränderungen nicht für kapitalistische Zwecke instrumentalisiert? Zur Beantwortung dieser Frage braucht man nicht unbedingt nach New York, Paris, London oder Bologna schauen, sondern kann sich getrost einige Wiener Bezirke ansehen: das Neubauviertel, in den 1960er Jahren noch als Armenviertel bekannt und in Folge von der Künstlerszene entdeckt, gilt mittlerweile als eine der besten Wohngegenden und wird aktuell vom Mittelstand bewohnt (Kessel 2014, 85), die innere Leopoldstadt zwischen dem nun revitalisierten Donaukanal und dem Praterstern, das Ottakringer Brunnenviertel als mittlerweile Inbegriff der „für Integration und Multikulti offenen Schickeria“ in den 2000ern, und seit einiger Zeit wird die Meidlinger Hauptstraße von Immobilienunternehmen entdeckt und beworben, um nur die bekanntesten Beispiele zu nennen. Zugrunde lagen bei diesen Bezirksentwicklungen aber nicht zwingend stadtplanerische Veränderungen, sondern zu einem Gutteil die dortigen Bewohner_innen und ihre Alltagsgestaltung.
Teile dieser Alltagsgestaltung entstanden jedoch individuell und auf gemeinschaftlicher Ebene auch in Reaktion auf mangelnde Angebote zur Aufrechterhaltung oder Anhebung der Lebensqualität, seien es bewohnbare und leistbare Wohnungen sowie gesundes und leistbares Essen, um von den Grundbedürfnissen auszugehen, oder Bildung und sozialer wie kultureller Austausch. Ein Beispiel dafür ist die Bewegung des Urban Gardenings, welche die Stadt mehr und mehr mit bepflanzten Grünflächen versieht und so zur Stadtentwicklung und Immobilienwertsteigerung beitragen kann. Die Frage, die neben der kurzen Darstellung des Urban Gardenings als revolutionäre Bewegung hier diskutiert werden soll, ist, wie man einer politischen und kapitalistischen Instrumentalisierung von partizipatorischen und revolutionären Bewegungen entgegensteuern kann.
Urban Gardening als städtische revolutionäre Bewegung nach Lefebvre
Unter dem Überbegriff „Urban Gardening“, urbanes Gärtnern, kann man heute mittlerweile vielerlei Auswüchse zusammenfassen; so gibt es Gemeinschaftsgärten, Nachbarschaftsgärten, interkulturell-integrative Gärten, Frauengärten, Selbsterntefelder, die Idee der „essbaren Stadt“[3], Guerilla-Gärten und noch viele andere Formen. Gemein haben sie alle, dass im städtischen Umfeld gemeinsam gegärtnert wird. Um von Urban Gardening als revolutionärer Bewegung sprechen zu können, könnte man meinen, Gemeinschaftsgärten auf geschlossenen privaten Flächen, Nachbarschaftsgärten im Rahmen von Neubauprojekten und/oder über Gebietsbetreuungen ins Leben gerufen und Selbsterntefelder müssten hier ausgeschlossen werden; doch Themen wie Ökologie, Ernährungssouveränität, Erziehung, Neoliberalismuskritik, Selbstbestimmung und Partizipation am öffentlichen Raum finden in allen Formen mehr oder auch weniger Beachtung (Sehr 2013, 18). So ist urbanes Gärtnern auch in seiner geregelsten Form ein aktiver Teil der von Henri Lefebvre geprägten „Recht auf Stadt“-Bewegung, welche das „Recht auf den (urbanen) Raum“ (Lefebvre 1978, 317 zit. in: Schmid 2011, 39) aller Stadtbewohner_innen und das Recht auf die Teilhabe an der Transformation und Erneuerung dieses urbanen Raums (Schmid 2011, 39) fordert. Im Folgenden soll Urban Gardening anhand einiger zentraler Begriffe Henri Lefebvres analysiert werden.
Ein Merkmal des Städtischen nach Lefebvre ist die Mediation zwischen der globalen und der privaten Ebene (ebd., 31). Urbane Gärten können als Mediationsräume zwischen diesen Ebenen gesehen werden, denn heute stehen wieder verstärkt grundlegende Lebensbedürfnisse im Vordergrund. So kann im Garten auf die globale Praxis der Lebensmittelmanipulation (gentechnisch veränderte Lebensmittel, künstliche Düngung, Import nicht-saisonaler Gemüse- und Obstsorten, nicht-leistbare Bio-Produkte für soziale Randgruppen, Sortenarmut …) reagiert werden. Zwar ist Subsistenzwirtschaft im eigentlichen Sinn in urbanen Gärten aufgrund der meist zu kleinen Beetgrößen nicht möglich, aber eine ordentliche Ernte von auch für Haushalte mit geringem Einkommen leistbarem Bio-Obst und -Gemüse ist doch möglich (Huber 2013, 73f., 88 – 90).[4] Außerdem können andere und ältere Sorten angebaut werden, welche nicht (mehr) im Sortiment von Lebensmittelketten zu finden sind. So wird urbane Subsistenzwirtschaft ohne dahinterstehende kapitalistische Motivation in Wiener Gemeinschafts- und Guerilla-Gärten rudimentär aufgegriffen und wieder zum Thema – wie auch schon zu Zeiten der Kleingartenvereine nach dem 1. Weltkrieg (Möhrs et al. 2013, 107). Es wird kein Mehrwert abgeschöpft und die gemeinschaftliche Pflege von Land respektive Gärten in der Stadt birgt das Potenzial, dass Menschen als einstige bloße Konsument_innen miteinander agieren, sich organisieren und teilhaben und die Dichotomie von Produzent_innen und Konsument_innen infragestellen. (Krasny 2012 zit. in: ebd., 110) Auch Lefebvre hebt hervor, dass es für jedes radikal-demokratische Projekt unumgänglich ist, die Kommodifizierung der Welt zu limitieren, um Raum zu schaffen für demokratische Planungsprozesse, welche den sozialen Bedürfnissen Vorrang geben können. (Lefebvre 2009 [1966], 148 zit. in: ebd., 120)
Weiters werden im urbanen Garten die global vertretenen ökonomischen (neoliberalen) Kontroll- und Leitungsfunktionen kritisiert, welche außerhalb von Privateigentum keinen Platz mehr für (Teil-)Subsistenzwirtschaft ermöglichen, da die Stadt selbst als (sozialer) Raum zu einer zu stark nachgefragten und optimal verwertbaren Ware (mitsamt aller Bewohner_innen und dem sozialen Leben als solches) geworden ist (Schmid 2011, 43). Der „öffentliche Raum wird zunehmend limitiert, im Zugang beschränkt oder verteuert, und mehr und mehr private Räume werden exklusiv für Elitenkonsum […] geschaffen. Inzwischen werden ganze Stadtzentren […] zu ‘Zitadellen der Eliten’.“ (Mayer 213, 160) Doch wenn die urbanen Gärtner_innen aus ihren individuellen Parzellen (Wohnungen) in den kollektiv bebauten und genutzten Raum des gemeinschaftlichen Gartens ausbrechen, kann er – wie auch andere Gemeinplätze – zum idealen Ort werden, um Widerstand gegen alltägliche Zumutungen zu bilden und sich zu organisieren (Kiczka 2014, 128).
So sehen auch Möhrs et al. Gemeinschaftsgärten als „[…] places of struggle for autonomy and self-organisation that articulates resistance to a destructive, exploiting and excluding system and creates emancipating alternatives.“ (Möhrs et al. 2013, 110) Und urbanes Gärtnern und Landwirtschaften als „[…] possibility to act and struggle for a process of radical democratisation of the production of the city. […] we emphasised not seeing cities as isolated entities but as networks of socio-ecological processes that are local and global at the same time.“ (ebd., 120)
Auch nach Lefebvre ist die Stadt ein Zentrum, wo Begegnung stattfindet, sich Zwänge auflösen, das spielerische Moment möglich ist, und ein Ort der Differenz, an dem Unterschiede aufeinanderprallen und dadurch Neues entsteht (Schmid 2011, 32, 35).
„Das Städtische definiert sich als der Ort, an dem die Menschen sich gegenseitig auf die Füße treten, sich vor und inmitten einer Anhäufung von Objekten befinden, bis sie den Faden der eigenen Tätigkeit verloren haben, Situationen derart miteinander verwirren, dass unvorhergesehene Situationen entstehen.“ (Lefebvre 1972, 46 zit. in: ebd., 32)
„Die Stadt ist als gesellschaftliche Ressource zu begreifen. Sie bildet ein wesentliches Dispositiv für die Organisation der Gesellschaft, sie führt unterschiedlichste Elemente der Gesellschaft zusammen und wird so produktiv.“ (Schmid 2011, 32) Urban Gardening kann in Guerilla-Gärten, Gemeinschaftsgärten, im Zuge von Workshops u. ä. eine breite Fläche für die Gesellschaft bilden: nicht nur finden sich interkulturell verschiedene Gärtner_innen, sondern auch intergenerationell. Kaum ein Raum bietet wohl so viel Platz für Unterschiede als der Grünraum in der Stadt: den Grünraum nutzende Jugendliche, aktiv-antikapitalistische Student_innen, ernährungsbewusste Jungfamilien, nach gemeinschaftlicher Arbeit im Draußen suchende Migrant_innen[5] und Pensionist_innen, Personen mit ländlicher Herkunft, „pure“ Städter_innen – die Beweggründe und Alters- und Sozialschichten sind vielfältig (Graf 2012, S. 48 – 51; Hörantner 2012, S. 56, 87; Huber 2013, 53 – 55), solange tatsächlich jede_r willkommen ist und sie nicht zu „Oasen zum Schutz alternativer Lebensstile“ (Mayer 2011, 68 zit. in: Kiczka 2014, 128) werden.
Über das gemeinsame Gärtnern kann sich die urbane Erfahrung, welche Lefebvre als gelebten Raum darstellt, verändern: Ist die Stadt eine fremde, gefährliche Vorstellung für rural verwurzelte Menschen, ein eintöniger, grauer Arbeitsmittelpunkt für Arbeiter_innen und Arbeitssuchende in denVorstädten/suburbs/banlieues, ein kultureller Hotspot und privilegierter Reproduktionsraum für die neue metropolitane Elite in gentrifizierten, also aufgewerteten Stadtteilen? Oder ein Raum mit Möglichkeiten zur gemeinsamen Gestaltung, mit Recht auf Mitbestimmung und -gestaltung des gemeinsamen geografischen und konzeptionellen Lebensmittelpunktes – ein espace vécu?(Schmid 2011, 38 – 40)
Kommodifizierung des Städtischen
Ein großer Widerspruch in der Dialektik des Städtischen findet sich in der Kommodifizierung des Städtischen: Einerseits liegt die Produktivität des urbanen Raums eben im Kontakt und wechselseitiger Aktion/Reaktion der unterschiedlichsten Elemente der Gesellschaft, andererseits kontrollieren globale Eliten die urbanen Ressourcen und schränken den Zutritt für andere als ihre eigene Schicht ein. (Schmid 2011, 44f.) So stellt sich die Frage, ob Stadt im Sinne Lefebvres als Lebensraum allermit Fokus auf öffentliche Grünflächen für die Bewohner_innen und kollektiven Benutzer_innen (usagers) (Lefebvre 1974, 411 zit. in: ebd.) überhaupt möglich sein kann oder Stadt sich nur mehr als Fläche zur kapitalistischen Spekulation und feilgebotene Ware im Zuge staatlicher Austeritätspolitik (Mayer 2013, 159) entwickelt.
Auch Wiens Stadtplanung erfährt seit Anfang der 2000er Jahre eine Öffnung als Wirtschaftsstandort und als Lebensraum mit weichen Standortfaktoren für eine neue urbane Elite, welche die „nicht-professionelle“ Öffentlichkeit mehr und mehr ausschließt. Diese soziale Selektivität wird mit internationaler Wettbewerbsfähigkeit und der nötigen Motivierung der Akteur_innen zur Umsetzung dieser gerechtfertigt. (Novy et al. 2001 zit. in: Möhrs et al. 2013, 103) Und in diese Kerbe schlagen – völlig entgegen der ursprünglichen Ideologie und der Motivation der Gärtner_innen – urbane Gartenflächen: Die Begrünung oder grüne Zwischennutzung von Flächen durch urbanes Gärtnern bringt eine Aufwertung der Umgebung mit sich und kann zu Immobilienwertzuwächsen von bis zu 20 Prozent führen (Gruehn; Hoffmann 2010 zit. in: Karkulik o. J., 22).[6]
Die gemeinschaftlich organisierte Bebauung respektive Nutzung von Grünflächen kann zu einem kapitalistischen Mehrwert auf diesen Raum führen, der den dafür Verantwortlichen, sprich den Urheber_innen, jedoch weder von Nutzen sein wird, noch werden sie beim Beschluss zu oder gegen dessen Realisierung eine Stimme haben[7] – im Gegenteil kann ihre Wohnsituation aufgrund steigender Mietpreise ob Gentrifizierung oder Wohnungskündigungen aufgrund sogenannter „Kernsanierungen“ oder „Eigenbedarfsanmeldungen“ prekärer werden.[8] Doch hier müsste mit den herrschenden (Stadt)Politiken gebrochen und Urban Gardening nicht als „kreative und pseudo-alternative Fortführung derselben“ verstanden werden, sondern dessen Vision der emanzipatorischen Stadtgestaltung anerkannt werden (Kiczka 2014, 116). So seien Urban Gardening-Projekte schließlich als urbane Gemeingüter[9] anzuerkennen (Eizenberg 2011, 778f.) und die Beteiligten in die Entscheidungsprozesse einzubinden:
„All jene, deren Arbeitskräfte an der Produktion und Reproduktion der Stadt beteiligt sind, haben nicht nur ein gemeinsames Recht auf das, was sie produzieren, sondern auch darauf, zu entscheiden, welche Art von Stadtleben wo und wie hergestellt werden soll. Alternative demokratische Instrumente […] müssen eingerichtet werden, wenn das urbane Leben wiederbelebt und außerhalb der herrschenden Klassenverhältnisse neu gestaltet werden soll.“ (Harvey 2013: 238)
Doch es ist, wie es ist: Urban Gardening – in der hier vertretenen ursprünglichen Form als partizipatorische, revolutionäre Bewegung[10] – wurde und wird im Zuge der Neoliberalisierung zum Spielball kapitalistischer Ansinnen und die Politik funktionalisiert Hochbeet und Gartenzaun als Nachweis für ökologische Stadtentwicklung um[11]. Doch wie kann dieser Instrumentalisierung entgegengesteuert werden? Im Folgenden soll der Versuch unternommen werden, Strategien dagegen aufzuzeigen.
Strategien gegen politische und kapitalistische Instrumentalisierung von Urban Gardening
Henri Lefebvres sieht eine Möglichkeit zur Vermeidung von Gentrifizierung und der Verdrängung der ursprünglichen Bewohner_innen in günstigere (Rand)Bezirke – neben politischer Funktionalisierung die gefährlichste Instrumentalisierungsfalle bei Urban Gardening – darin, soziale Ungleichheiten vollständig auszugleichen, indem die gesamte Bevölkerung, unabhängig vom ursprünglichen sozialen Status, Zugang zu den (würdevoll) lebensnotwendigen Einrichtungen einer Stadt hat, wie Wohnen, Verkehr, Freizeit etc. – eben zu jenen Dingen, die das tägliche Leben mitgestalten. (Lefebvre zit. in: Sampaio 2007, 34) Erst wenn soziale Ungleichheiten im Alltag ausgeglichen sind, kann der Alltag auch nicht mehr kommodifiziert werden – denn erst dann würden nicht mehr Angebot und Nachfrage diesen Markt gestalten. Mit einer solchen „Revolution des Alltags“ (Lefebvre 1972b, 51 zit. in: Schmid 2011, 45) kann kurzfristig jedoch nicht gerechnet werden und auch tatsächlich wirksame politische Regulierungen von Immobilienspekulationen oder gar deren vollständige Aushebelung sind unwahrscheinlich, wohl könnten allerdings Revolutionen auf Mikroebene forciert werden:
→ Motivation abstimmen! Schon bevor ein Spatenstich erfolgt oder der erste Samen gepflanzt wird, sollte in der Gemeinschaft Einigkeit über die Intentionen herrschen. Soll es ein Raum zur Freizeitgestaltung werden mit der Absicht, städtische Fördergelder zu beantragen, oder ein politisch-aktivistisches urbanes Gartenprojekt? Soll eine strikte Struktur mit Fristen und Zielvereinbarungen eingehalten werden oder gibt es Raum für individuelles und gruppendynamisches Wachstum? Soll es Hierarchien geben oder ein egalitäres Miteinander? (Zadruga Urbana 2015, 7) Dies nur einige am Beginn zu klärende Fragen, um sicherstellen zu können, dass man politischer und kapitalistischer Einvernahme gegenüber gemeinsam wachsam ist, denn auch wenn gemeinsame Erlebnisse politisch-ideologisch verbindend wirken können (Riczka 2014, 129), muss dem nicht so sein.[12]
→ Guerilla bleiben (oder zumindest förderungsunwürdig)! Eine wichtige Strategie, um sich gegen Instrumentalisierungen zur Wehr setzen zu können, scheint, ist es, selbstbestimmt zu bleiben. Denn es lässt sich bereits an der Förderungswürdigkeit von Projekten dingfest machen, ob die Gemeinschaftsprojekte der Stadt einen soziokulturellen und ergo standortfaktoriellen Mehrwert bringen (Mayer 2013, 163). Und so birgt eine Anerkennung von Gartenprojekten – auch wenn sie mit finanziellen Vorteilen verbunden sein kann – diverse Gefahren: Sobald man sich um Anerkennung bemüht, geht es nämlich nicht mehr vorwiegend ums selbstbestimmte Garteln und Stadtgestalten, sondern ums Beantragen, Ausfüllen, Unterschreiben, Verantwortlich-Zeichnen, Kooperieren … Doch wo Kooperation, sind auch Kompromisse[13] unumgänglich und ausnahmslose Selbstbestimmung ist Vergangenheit. Die slowenische Zadruga Urbana[14] bringt es in ihrer Broschüre auf den Punkt: „We are not only interested in exploring ways how to collaborate, but also how not to collaborate.“ Und auch in Wien kann man anhand der geförderten Gemeinschaftsgärten im Vergleich zum derzeit einzigen[15] Guerilla-Gemeinschaftsgarten Wiens, dem Längenfeldgarten[16], erkennen, welche Einschränkungen eine behördliche Förderung mit sich bringen kann: Im Vergleich zu den rund 25 Gemeinschaftsgärten Wiens[17] (in vielen Fällen top-down state-managed progammes (Karkulik o. J., 59f.; Huber 2013, 70)), welche von der Stadt aktiv gefördert, finanziell unterstützt, die Eigentumsverhältnisse über Miet-/Pachtverträge geregelt (Möhrs et al. 2013, 109) und welche rechtlich als Verein geführt werden müssen (nur einige der diversen Auflagen der Stadt Wien, um als förderungswürdig zu gelten[18]), ist der Längenfeldgarten (seine Verwaltung kennzeichnet sich durch eine reine bottom-up self organisation, ganz im Sinne Lefebvres Vorstellungen von Autogestion[19]) auf all diesen Ebenen autonom, wodurch er in seiner Selbstbestimmung unangreifbar ist. Zwar ohne Geld aus den Budgets der Stadt, dafür aber auch ohne zwingende Landnutzungsvereinbarungen, eingetragene Leitungsorgane, ohne Zaun, ohne Schlüssel, ohne Statuten, ohne Kompromiss. Bislang wird der Längenfeldgarten von der Stadt Wien geduldet, kann aber wegen seiner landbesetzerischen Qualität[20] jederzeit und ohne vorherige Ankündigung geräumt werden. Aber da er sich nicht den Kriterien der Behörden unterwirft, könnte davon ausgegangen werden, dass er sich auch besser – weil ohne Rücksicht auf bisherige Kooperationen mit den Behörden – gegen eine Auflassung oder auch gesteuerte Instrumentalisierung durch jene wehren könnte. So kann von den Gärtner_innen unter anderem auch selbst bestimmt werden, ob der Garten tatsächlich als Nutzgarten gestaltet wird und von einer Stadtteilverschönerung durch Zierpflanzen Abstand genommen wird. (Graf 2012, 62) Abgesehen davon werden, sollten sich die Förderungskriterien nicht ändern, zukünftige Gemeinschaftsgärten in Wien wohl ohnehin ohne Förderungen auskommen müssen, denn offiziell förderungswürdig ist pro Bezirk nur ein Gemeinschaftsgarten – wo die restlichen Stadtbürger_innen gärtnern sollen, bleibt dabei offen.
→ Eine weitere wichtige Strategie bei der partizipatorischen Gestaltung der eigenen Stadt, ohne zu einem kapitalistischen Mehrwert für andere beizutragen, ist die Einbettung von Projekten in bestehende gemeinschaftliche Strukturen, damit keine höheren, kann eben auch heißen teureren Standards geschaffen werden. (Hirschmann; Kiczka 2012) Im Fall von Urban Gardening würde dies einerseits wohl auf die Nutzung und lediglich Umgestaltung von bereits bestehenden Grünflächen hinweisen, was eine große Einschränkung mit sich bringen würde. Andererseits würde dies auch heißen, nicht nur die direkte Nachbarschaft zu erreichen, sondern sich auch mit ihr zu vernetzen und ein solidarisches Miteinander in den alltäglichen Bedürfnissen zu etablieren (Hirschmann; Kiczka 2012), um eine Gemeinschaft zu bilden, die sich gegen mögliche neoliberale Einmischungen besser behaupten kann. Diese alltäglichen Bedürfnisse können darin liegen, dass leistbares Wohnen bestehen bleibt oder – wie konkret auch im Fall von Urban Gardening – leistbare gesunde Ernährung möglich wird.
Auch die Vernetzung mit anderen politisch-aktivistischen Gruppen, die nicht Urban Gardening als ihre Ausdrucksform gewählt haben, sehen nicht nur die Zadruga Urbana und die San Francisco Urban Agriculture Alliance (SFUAA) als Hilfe, eine breitere Basis gegen politische Funktionalisierung zu etablieren und neoliberale Herrschaftsregime zu destabilisieren (Meyer 2013, 163f.). „The wider our networks, the more common our concerns, and the less divided we stand, the more powerful that force will be.“ (SFUAA 2015)
→ Nicht der allgemein-gültigen Norm von „schön“ entsprechen: Wie bereits angedeutet kann es eine Strategie gegen Instrumentalisierungstendenzen sein, sich gegen allgemein-gültige Normen zu stellen. Urbane Gartenlandschaften, die aufgrund von privaten Pachtverträgen weder auf behördliche noch unbedingt auf die Zustimmung der Nachbarschaft angewiesen sind, können die Gestaltung der Natur überlassen. Nur selten passen zu wild wuchernde Gärten in das Bild von Stadtrevitalisierung, -erneuerung und -verschönerung, sondern können gar zu Konflikten mit Anrainer_innen führen. (Huber 2013, 56f.) Aufgrund der Anrainer- und Nachbarschaftsfrage muss von dieser Strategie im Fall von städtischen Guerilla-Gärten allerdings Abstand genommen werden, da die Zustimmung ihrer Umgebung zu wichtig ist für ein solidarisches Miteinander (siehe oben).
→ Um die Funktionalisierung von partizipatorischen und revolutionären Einzelprojekten zu vermeiden, soll abschließend noch erwähnt werden, dass es hilfreich scheint, den Bekanntheitsgrad auf die lokale Ebene zu beschränken. Dies bedeutet, sich in der konkreten Öffentlichkeitsarbeit Gehör, Bekanntheit und schließlich Unterstützung zu verschaffen mittels Medien, welche kalkulierbare Reichweiten haben. (Schwarzmayr 2015) So sind wohl Mundpropaganda, Flugblätter oder lokale Pressearbeit sinnvoller als Facebook/Twitter/Konsorten und klassische Medienarbeit.
Die eben genannten Strategien betten sich ein in eine dynamische Beziehung mit Politik und Neoliberalismus, deren Kreativität keine Grenzen gesetzt sind, wenn es um die Erreichung ihrer Ziele geht. So ist auch weiterhin die Kreativität partizipatorischer Bewegungen gefragt, um sich nicht nur in Zurückhaltung und Wachsamkeit zu üben, sondern auch aktivere Gestaltungsmöglichkeiten zu finden, die sie nicht der revolutionären Schlagkraft berauben.
Stefanie Ibinger lebt und arbeitet in Wien. Ihre Themen sind Verlagswesen, Bildung, Internationale Entwicklung und Stadtgärtnern.
[1] Siehe dazu: Sehr, Sabrina (2013): Gemeinschaftsgärten und Kommunalpolitik. Eine Analyse der Wiener Situation unter Berücksichtigung der grünen Regierungsbeteiligung. Wien: Diplomarbeit
[2] Guerilla Gardening zeichnet sich nach einem der aktivsten und bekanntesten Guerilla-Gärtner, Richard Reynolds, aus durch „the illicit cultivation of someone else’s land“ (Reynolds 2008, 10 zit. in: Graf 2012, 8), von heimlichen Einzelattacken bis zu größeren, politisch-aktivistischen, in jedem Fall selbstbestimmten und -organisierten Gärtneraktivitäten mit landbesetzerischen Qualitäten. Siehe auch: Reynolds, Richard (2009): Guerilla Gardening. Ein botanisches Manifest. Freiburg: Orange Press
[3] Siehe auch: Boomgaarden, Heide (2013). Eine Stadt zum Riechen, Pflücken und Essen. Im Interview mit Julia Schilly. http://derstandard.at/1381371847232/Eine-Stadt-zum-Riechen-Pfluecken-und-Essen
[4] Siehe auch: Exner, Andreas; Schützenberger, Isabelle: Die souverän ernährte Stadt. Potenziale und Grenzen des urbanen Gärtnerns. Streifzüge 61/14 und 62/2014. Online auf: http://www.streifzuege.org/2014/die-souveraen-ernaehrte-stadt und http://www.streifzuege.org/2015/die-souveraen-ernaehrte-stadt-2
[5] Der Garten als verbindendes Element unterschiedlicher Kulturen zeigt sich auch darin, dass urbanes Gärtnern für Migrant_innen und/oder Menschen mit Migrationshintergrund und hier insbesondere Frauen von Bedeutung sein kann, da unabhängig von mangelnden Sprachkenntnissen eine gemeinsame Aktivität und ergo Gemeinschaft möglich wird. Für nähere Informationen siehe: Coca-Dominguez, Yara; Taborsky, Ursula (2011): Gemeinschaftsgärten: Grüne Räume der Integration. In: Biffl, Gudrun; Dimmel, Nikolaus (Hg.): Grundzüge des Managements von Migration und Integration. Migrationsmanagement, Band 1, Bad Vöslau: omninum
[6] Darin kann eine Erklärung für die Duldung von Guerilla Gardening-Projekten und Förderung eingetragener Gemeinschaftsgärten liegen. (Möhrs et al. 2013, 111) Spannend ist, wann nicht mehr der Umweg über die politischen Instanzen zur Stadtentwicklung und Stadtplanung gegangen wird, sondern privatwirtschaftliche Immobilienunternehmen Urban Gardening in relevanten Wohngebieten zur mittelfristigen Wertsteigerung direkt fördern werden.
[7] Vgl. hierzu als nur ein Beispiel im deutschsprachigen Raum den Nachbarschaftsgarten in der Josefstraße, Leipzig, der maßgeblich zur Wiederbelebung des „Bildhauerviertels“ beigetragen hat. Die dortige Umgebung ist mittlerweile „ausverkauft“. (Kessel 2014, 84)
[8] Besonders Menschen mit Migrationshintergrund können sich Mietsteigerungen, welche sich durch die Gentrifizierung ihrer Grätzel langfristig ergeben können, aber nicht leisten und werden über kurz oder lang aus ihrer Nachbarschaft abgedrängt.
[9] Zu den Begriffen „urbane Gemeingüter“, „urban commons“ und „commoning“ siehe auch: Kiczka (2014)
[10] Siehe auch: Purcell, Mark; Tyman, Shannon K. (2014): Cultivating food as a right to the city. In: Local Environment. The International Journal of Justice and Sustainability. London: Routledge. 1 – 16.
[11] Siehe auch: https://stadtfruchtwien.wordpress.com/2014/08/30/die-firma-urban-gardening/
[12] Siehe auch: Kessel 2014, 107f.
[13] Siehe auch: Huber 2013, 66 – 67; Exner, Andreas (2015): Urban Gardening: „Große Imageeffekt, aber geringe Kosten“. Im Interview mit Christa Minkin. http://derstandard.at/2000017590164/Urban-Gardening-Grosser-Imageeffekt-aber-geringe-Kosten
[14] Siehe auch: https://zadrugaurbana.wordpress.com/; https://en.squat.net/2014/08/01/ljubljana-slovenia-zadruga-urbana-little-urban-agrarian-platform/
[15] Viele der mittlerweile etablierten Gemeinschaftsgärten wurden ursprünglich durch Guerilla Gardening initiiert. (Graf 2012, 24)
[16] Die beiden je 500 m² Gartenflächen des Längenfeldgartens zwischen U-Bahn und dem Wienfluss im 12. Wiener Gemeindebezirk befinden sich auf einer öffentlichen Fläche, welche 2010 besetzt wurde. (https://gartenpolylog.org/gardens/langenfeld-garten).
[17] https://www.wien.gv.at/umwelt-klimaschutz/gemeinsam-garteln.html
[18] Siehe auch: https://www.wien.gv.at/amtshelfer/umwelt/stadtgaerten/begruenung/nachbarschaftsgarten.html
[19] Für Lefebvres Idee von Autogestion und Recht/Kampf um Nahrungsmittelproduktion in der Stadt siehe auch: Purcell; Tyman (2014): Cultivating food as a right to the city. In: Local Environment. The International Journal of Justice and Sustainability. London: Routledge. 1 – 16
[20] Zu möglichen Vorteilen einer Besetzung im Sinne der langfristigen Selbstbestimmung siehe auch: Kiczka 2014, 127.
Literaturverzeichnis:
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Harvey, David (2013): Rebellische Städte. Vom Recht auf Stadt zur urbanen Revolution. Berlin: Suhrkamp Verlag |
Hirschmann, Anna; Kiczka, Raphael (2012): Pioniere der Gentrifizierung. In: Kulturrisse 03/2012. Wien: IG Kultur Österreich. Online auf: http://kulturrisse.at/ausgaben/widersprueche-der-kreativen-stadt/oppositionen/201epioniere-der-gentrifizierung201c [Zugriff 18-06-2015] |
Hörantner, Esther (2012): Community Gardening. Eine ethnographische Betrachtung dreier Gemeinschaftsgärten in Wien oder von der Gemeinschaft im Garten. Wien: Diplomarbeit |
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Karkulik, Stefan (o. J.): Urbanes Gärtnern in Wien – Bestandsaufnahme im Licht urbaner Governance. Wien. Bachelorarbeit |
Kessel, Viola Anna (2014): Die Gemeinschaftsgärten Wiens als Post-Guerrilla-Gardening? Soziale Praxis und Habitus der aktuellen Gartenbewegung im urbanen „Zwischenraum“. Wien: Diplomarbeit |
Kiczka, Raphael (2014): Leerstand zu Commons machen! Die Commons-Perspektive als Kritikfolie und Hebel für eine emanzipative Stadtgestaltung. In: Hejda, Willi et al. (Hg.) (2014): Wer geht leer aus? Plädoyer für eine andere Leerstandspolitik. Wien: edition monochrom. 116 – 139. Online auf: http://www.igkulturwien.net [Zugriff: 19-06-2015] |
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Möhrs, Kim; Forster, Franziskus; Kumnig, Sarah; Rauth, Lukas (2013): The politics of land and food in cities in the North: Reclaiming urban agriculture and the struggle. Solidarisch Landwirtschaften! (SoliLa!) in Austria. In: Franco, Jennifer C.; Borras, Satrunino M. Jr. (Hg.): Land Concentration, land grabbing and people ́s struggles in Europe. Amsterdam: Transnational Institute (TNI), 82 – 113 |
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Schwarzmayr, Tamara (2015): Vortrag im Rahmen der Ringvorlesung „Urbane Transformationsprozesse und das Recht auf Stadt“, NIG, Wien, am 15. Juni 2015 |
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Weiterführende Literatur: |
Boomgaarden, Heide (2013). Eine Stadt zum Riechen, Pflücken und Essen. Im Interview mit Julia Schilly. http://derstandard.at/1381371847232/Eine-Stadt-zum-Riechen-Pfluecken-und-Essen [Zugriff 21-06-2015] |
Coca-Dominguez, Yara; Taborsky, Ursula (2011): Gemeinschaftsgärten: Grüne Räume der Integration. In: Biffl, Gudrun; Dimmel, Nikolaus (Hg.): Grundzüge des Managements von Migration und Integration. Migrationsmanagement, Band 1, Bad Vöslau: omninum |
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