Zukunftsforschung für’s T-Shirt oder Das post-politische Glück ist zum Greifen nah

Was macht eigentlich so ein_e Trend- und Zukunftsforscher_in? Das habe ich mich zuletzt häufiger gefragt, zumal derart betitelte Personen mittlerweile regelmäßig in Nachrichten- und Informationsfernsehsendungen auftauchen. Befragt zu den unterschiedlichsten Phänomenen unserer Gesellschaft sprechen sie dann meist über Urbanisierung, Individualisierung, Digitalisierung und dergleichen mehr und bestätigen uns, was wir selbst schon immer wussten – dass die Welt in Hinkunft anders sein wird als bisher. Doch etwas machen sie dabei entscheidend anders. Entgegen dem großelterlichen Mantra, früher sei alles besser gewesen, sind Zukunftsforscher_innen stets überzeugt: die Zukunft wird gut. Eine eindrucksvolle Ausgabe dieser freudigen Botschaft durfte ich unlängst selbst live miterleben.

It’s the urbanization, stupid!

Das Postgraduate Center der Universität Wien lud am 24. September zu seiner uniMind Jahresveranstaltung[1] mit einer Keynote von Matthias Horx, seines Zeichens Trend- und Zukunftsforscher. Er ist Leiter des Zukunftsinstituts, einem der erfolgreichsten Beratungsunternehmen im deutschsprachigen Raum mit Sitzen in Frankfurt, München und Wien[2]. Passend zum Jahresthema „Stadt der Zukunft“ lautete Horx‘ Vortrag: „New Urbanism: Wie sich die Stadt – und die menschliche Kultur – neu erfindet“.

Die Eröffnung des Vortrags imponiert dem geneigten Stadtforscher. Horx erklärt die Urbanisierung zum Megatrend – ein Begriff, den er selbst geprägt und zu Buche gebracht hat[3]. Mit bekannten, aber gekonnt in teils bewegten Bildern verpackten Argumenten vom Städtewachstum im globalen Süden und Norden, vom zu erwartenden Urbanisierungsgrad von 75% und von der Ressourceneffizienz urbaner Siedlungen im Vergleich zu ruralen stellt er den Stuhl seiner folgenden Ausführungen auf wenig wacklige Beine: Unter den gegebenen Umständen werden Städte die conditio sine qua non unser gesellschaftlichen Weiterentwicklung sein.

Aus diesem Grund will der Vortragende dem Publikum im Folgenden zeigen, wie eine solche urbane Zukunft aussehen kann. Was folgt, ist eine etwa 45-minütige, willkürlich aneinandergereihte Flut an bunten Beispielen des, wie er es nennt, „New Urbanism“. Der Reigen beginnt mit einer drastisch simplifizierten Darstellung der unterschiedlichen Phasen der Urbanisierung, wie wir sie in den „westlichen“ Städten gerne nachzeichnen. Aus der mittelalterlichen Stadt erwachsen die Kerne, die Werte, die Funktionen und ihre Mischung, aus der Industrialisierung die Funktionstrennung und in der Spätmoderne der langsame aber sichere Tod des Zentrums. Damals, so Horx, seien in diesen leeren, hässlichen Zentren abends nur mehr die Drogensüchtigen gewesen, sodass eine Phase der Suburbanisierung folgen musste. Doch die kreative Klasse hätte die Zentren wegen der niedrigen Mieten mittlerweile wieder belebt und den Städten etwas zurückgegeben. Im Hintergrund erscheint ein schematischer Stadtplan. Bunte Flecken symbolisieren die unterschiedlichen Quartiere mit ihren Nutzungen. In zweien lese ich „Creative Quarters“, in zwei anderen „Smart Businesses“. Buzz-wording at its best.

Möchten Sie ein bisschen Big Data dazu?

Überhaupt seien Städte mittlerweile wieder en vogue und lebenswert. Das Wiener Publikum nickt wissend. Plötzlich – ein Schwenk: Big Data. Horx erklärt, dass Städte Organismen seien, die wir nun mithilfe digitaler Werkzeuge endlich vollständig verstehen könnten. Das sei wichtig, denn wie sonst sollten wir ihr Funktionieren zwischen Wachstum und Vernetzung weiter gewährleisten. Er zeigt einen Big-Data-gefütterten Timelapse von Istanbul. Er erklärt, dass sich anhand geokodierter Fotos feststellen lässt, in welch unterschiedlicher Weise Bewohner_innen und Tourist_innen Städte nutzen würden. Alles nicht neu. Auch der Nutzen, den all das in Horx‘ Augen hat, erschließt sich mir aus seinen Ausführungen nicht. Dann endlich: Sicherheit! Auch Horx scheut nicht davor zurück Big Data unreflektiert als Lösung für das menschliche Grundbedürfnis nach Sicherheit anzupreisen. Insgesamt, so der Redner, seinen Städte ja sehr viel sicherer geworden. Die Polizei in US-amerikanischen Städten würde beispielsweise eine Software zur Aufzeichnung und Auswertung von Straftaten verwenden. „Gut, in New York da gibt’s jetzt wieder ein paar mehr Morde pro Jahr. Aber in L.A. sinken die Zahlen weiter – das ist wegen der Software.“ Ich habe eine erste Vermutung. Der Mann hat einen blinden Fleck: das Politische.

Urban dings? Urban bums? Urban everything!

Es sollte munter weitergehen mit Auszügen aus dem Handbuch der Best Practices der Kommodifizierung, Kulturalisierung und Instrumentalisierung zivilgesellschaftlicher Praxis: Öko-Branding mit grünen Hausfassaden in Hong Kong, öko-effizienten Hochhäusern in Sydney oder Urban Gardening in Berlin wird dabei ebenso in die Waagschale geworfen wie Ästhetisierung und Gentrifizierung mit Highline New York und Brooklyns schmerzvoller Transformation: alles schöne Bilder, alles gute Geschichten vom besseren Leben, gespickt mit trendigen Begriffen wie „Urban Acupuncture“ oder „Agritecture“. Richard Florida und die kreative Klasse dürfen natürlich ebenso wenig fehlen wie Jan Gehl und sein Human Scale. Jetzt haben wir alle beieinander, denke ich.

Die Botschaft bleibt allerdings stets dieselbe: Es wird alles gut. Bloß wirkt sie auf mich nicht so beruhigend wie der Vortragende es gerne hätte. Denn wer macht all diese Dinge? Wer baut, wer transformiert und, was viel wichtiger ist, wer entscheidet darüber? Das verrät Horx nicht. Der Prozess ist egal. Das Ergebnis zählt.

Die Zukunft ist politisch inkorrekt

Ebenso wenig kann er unter seinen vielen Beispielen mit mehr als einem aus dem globalen Süden aufwarten. Dabei sind zu Beginn Lagos und Dhaka für ihn symbolische Beispiele der Urbanisierung unserer Welt. Da gebietet es allein die Logik der Argumentation sich diesen Städten auch zuzuwenden, wenn schon nicht die Ethik einer postkolonialen Stadtforschung. Aber da macht der Mann sowieso gerne Ausnahmen. Beispiel gefällig? Er fahre schon seit 15 Jahren Elektroauto in Wien. Unlängst sei neben ihm an der Ampel so eine „Türkenschüssel“ gestanden. Der Rest der Geschichte ist es nicht wert erzählt zu werden. Vereinzelt ertönt Gelächter im Publikum. Mich ereilt ein Alltagsrassismus-induzierter Schlaganfall. Nicht der einzige an diesem Abend. Die Publikumsfrage, ob Co-Making Spaces nicht nur Akademiker_innen ansprechen würden, verneinte der Redner prompt: es gäbe in Berlin Beispiele, wo Deutsche auch schon mit Türken und Syrern zusammen arbeiten. Nationalität als Indikator des Bildungsniveaus? Das ist dann wohl Schlaganfall 2.

Probleme sind Lösungen sind ideologisch

Schließlich endet der Vortrag fast schon zahm. Es gehe nicht um die Probleme, es gehe um deren Lösung. In mir steigt Verwirrung auf. Was löse ich, wenn nicht ein Problem? Horx rettet mich aus meinem Dilemma: „Das Problem ist, dass wir die Dinge immer als Problem definieren.“ Well said. Das drucke ich mir auf ein T-Shirt. Er versucht sich zu erklären. Dass etwa die aktuelle Flüchtlingskrise von der anderen Seite betrachtet eine Chance sei, meint er. Jetzt sind wir wieder Freunde, denke ich. Denn, so führt er weiter aus, sie könne dabei helfen unsere demografischen Probleme zu lösen. Kurze Freundschaft. Vermutlich passiert das, wenn man nicht willens ist, Probleme als solche wahrzunehmen. Es gelingt einem nicht zu ihrer Wurzel vorzudringen. Lieber betreibt man konservativ-optimistische Symptombekämpfung ohne jegliche Systemkritik.

Meine Kritik daran ist gar nicht so sehr, dass der kapitalisitische, exklusive und nicht lokal verankerte New Urbanism von Horx der falsche Zugang für die Transformation unserer Städte der Zukunft ist. Meine Kritik ist auch nicht, dass der Vortragende mit „New Urbanism“ ungeniert einen terminus technicus aus dem Zusammenhang gerissen zum Überbegriff seiner Erzählung macht. Meine Kritik ist viel eher, dass der Zukunftsforscher dabei ideologisch vollkommen konträre Verständnisse von Stadt und ihrer Veränderung auf eine Ebene stellt, ohne diesen Umstand zu explizieren oder die jeweiligen Ansätze in irgendeiner Weise zu kontextualisieren. Floridas Persiflage auf die Klassentheorie, Gehls Fortführung von Camillo Sittes Vorstellung guter Stadtplanung und die technokratische Vision von dateninduzierter Entscheidungsfindung mittels Big Data sind so dermaßen unterschiedlich in ihrer jeweiligen Weltsicht, dass es fast schon an Täuschung heranreicht das nicht zu erwähnen. Dabei ist es gerade dieser Umstand, an dem sich die Zukunft unserer Städte entscheidet.

Der Vortrag macht aus Horx‘ diesbezüglicher Position kein Geheimnis: Die Problemlösung kennt keine Ideologie. Sie kennt nur gute Ideen. Sie kennt demnach auch keine Ungleichheit und Unterdrückung, die es zu beseitigen gilt. Sie kennt sicherlich auch keine Gewinner und Verlierer der Urbanisierung, des Klimawandels, der globalen Migration und des Kapitalismus. Natürlich nicht. Denn am Ende wird alles gut. Ach, das post-politische Glück, es liegt so nah.

 
Johannes Suitner ist Stadtforscher an der TU Wien. Er beschäftigt sich mit Stadtgeschichte, Planungstheorie und Planungskulturen, dem Verhältnis von Kulturpolitik und Stadtplanung, sowie stadtpolischen Diskursen und ihren Auswirkungen auf die Planungspraxis.
 
Verweise:

[1] siehe: http://www.postgraduatecenter.at/unimind/jahresveranstaltung/

[2] siehe: http://www.horx.com/ und https://www.zukunftsinstitut.de/ueber-uns/

[3] Horx, Matthias (2011): Das Megatrend-Prinzip. Wie die Welt von morgen entsteht. München: DVA.

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