Leerstandsnutzung und –politik in Wien am Beispiel des Schwendermarkts

Leerstand ist konstruierter und somit umkämpfter Raum. Im Zuge der Neoliberalisierung von Stadtentwicklung eröffnet Leerstand potentielle Handlungsspielräume, welche als urbane Commons zur Resilienzsteigerung der Bevölkerung beitragen können. Gastautorin Judith Mühlbacher analysiert die Leerstandsnutzung und -politik in Wien historisch, kritisch und praktisch am Beispiel des Schwendermarktes im 15. Wiener Gemeindebezirk und legt Ansprüche urbaner Transformationsbewegungen an die Politik dar.

Leerstand ist ein konstruierter Raum und als solcher umkämpft. Eingebettet in komplexe politische, soziale und ökonomische Machtverhältnisse kommen dabei unterschiedliche Interessen und Bedürfnisse zum Tragen. Dieser Blogpost thematisiert die spezifische Lage der Leerstandspolitik und -nutzung in Wien am Beispiel des Schwendermarktes im 15. Wiener Gemeindebezirk. Im Zentrum stehen dabei die Fragen nach beteiligten Akteur_innen in diesem umkämpften Raum und deren politische Absicherung in einem neoliberalen Wirtschaftssystem, welches zunehmend von der Kommodifizierung von Leerstand und der Raumgestaltung nach neoliberaler Logik geprägt ist.

Dazu werden Leerstand und seine Nutzung kurz definiert. Dann soll auf die spezifische historisch bedingte Lage in Wien eingegangen werden. Die aktuelle Situation auf dem Schwendermarkt wird unter Hinzuziehung der Theorien urbaner Commons sowie Resilienz beschrieben. Basierend auf diesem praktischen Beispiel wird die derzeitige Leerstandpolitik Wiens kritisch in den Blick genommen und Bedürfnisse urbaner Transformationsbewegungen dargelegt. 

Leerstand und Zwischennutzung

Leerstand wird gemacht: Wohn-, Geschäfts-, Büro-, Industrieräume stehen aus bestimmten Gründen leer, welche eng mit institutionalisierten Machtverhältnissen zu tun haben. Hierbei manifestieren sich soziale Produktionen von Raum architektonisch, zum Beispiel indem Industriestandorte aufgegeben werden, da andere als attraktiver gelten, Personen aufgrund von Wirtschaftsfaktoren ihren Wohnort aufgeben etc. (Hirschmann 2014: 12, 14). Geht die Nachfrage nach Raum in einem Gebiet allgemein zurück, zum Beispiel aufgrund von Rezession, spricht man in der Stadtentwicklung von strukturellem Leerstand (Verlič 2014: 44).

Häufig entsteht der Neubaubedarf jedoch entkoppelt von dem real existenten und orientiert sich ausschließlich an finanzwirtschaftlicher Profitlogik, welche sich im Zuge des neoliberalen Strukturwandels herausgebildet hat (ebd. 12, 18). Auf diesen wird im Folgekapital näher eingegangen.

Um trotzdem auch von den leerstehenden Räumen zu profitieren, wird Leerstand einerseits oft trotz bestehendem Bedarf an Raum ungenutzt gelassen: In diesem Fall spricht man in der Stadtentwicklung von spekulativem Leerstand, welcher im Gegensatz zu strukturellem bei hoher Nachfrage nach Raum auftritt und der Wertsteigerung einer Immobilie dienen soll. Einhergehend mit der Erwartung einer höheren Rendite in der Zukunft, welche oft mit der Annahme einer Aufwertung des Gebietes koinzidiert, lassen Eigentümer_innen ihren Raum ungenutzt und können diesen sogar aufgrund von Abnutzung durch Alterung steuerlich absetzen (Verlič 2014: 44-47). Mit diesen Überlegungen im Hinterkopf passieren häufig Bestandsfreimachungen und Zwangsräumungen, um die Gebäude zu leeren. Oft treffen die erwarteten höheren Rendite dann doch nicht ein, was die Widersprüche der neoliberalen Raumproduktion sichtbar macht (Hirschmann 2014: 19, 22).

Andererseits wird vielfach eine Zwischennutzung in Betracht gezogen. Dieser Begriff wird in der Stadtplanung als Nutzung eines Leerstandes vor der eigentlichen Hauptnutzung definiert. Obwohl diese häufig als Win-Win-Situation für Nutzer_innen sowie Eigentümer_innen dargestellt wird, da erstere einen oft kostengünstigen Raum erhalten, in welchem sie ihre Ideen umsetzen können, und letztere sich Erhaltungskosten für den Raum sparen und vom zunehmenden symbolischen Kapital des Raumes profitieren, führt dieses Verhältnis oftmals zur Prekarisierung der Nutzer_innen, welche rechtlich gesehen eine schwächere Position innehaben (IG Kultur 2011: 8).

Zwar setzt die zeitliche Einschränkung der Nutzung gewisse Potentiale der experimentellen und prozessorientierten Bespielung der Räume frei, die jederzeit mögliche Beeundung prekärer Mietverhältnisse schwebt aber wie ein Damoklesschwert über den Nutzer_innen (ebd. 9). Dadurch kann oft keine vollkommene Raumaneignung stattfinden, welche eine Nutzung des Raumes den eigenen Bedürfnissen und Vorstellungen der Mieter_innen ermöglich (ebd. 5) In einer auf rechtlich abgesicherten Privateigentum basierenden Gesellschaft behalten die Eigentümer_innen die Oberhand und tragen so maßgeblich zur Stadtentwicklung bei (ebd. 13). Zwischennutzungen werden zurzeit teils von sozialen und zivilgesellschaftlichen Initiativen in Anspruch genommen, welche oft von einer Mietreduktion angewiesen sind oder auch zu anderen Mitteln wie Besetzungen greifen (ebd. 8). Einer neoliberalen Aufwertungslogik folgend werden diese Räume aber auch oft Kreativen zugesprochen, welche die Attraktivität des Areals und somit die Wettbewerbsfähigkeit der Stadt steigern sollen (ebd. 7; Hirschmann/ Kiczka 2012: Online).

Beide Gruppen sind auf günstige Mieten angewiesen, können aber durch eine Vernetzung mit der bestehenden Nachbarschaft durchaus widerständige und transformative Räume schaffen (Hirschmann 2014: 24).

Dem Kreativimperativ folgend werden aber bestimmte Gruppen privat- wie stadtpolitisch bevorzugt, andere prekarisiert: Die (Um-)Verteilung von Leerstand in Wien passiert immer noch extrem dezentralisiert und befindet sich erst im Institutionalisierungsprozess. Zentral ist dabei für alle beteiligten Akteur_innen die Rolle des Raumes – leerstehend sowie zwischengenutzt – als Ware, welche historisch hergeleitet werden kann. Dieser Prozess wird Kommodifizierung genannt und beschreibt die Wachstumslogik des kapitalistischen Systems, welche durch Privatisierungen und andere marktbasierte Instrumente ehemalige Gemeingüter zu Waren macht (Verlič 2014: 49).

Historischer Blick auf Raumnutzung und Leerstand in Wien

Der globale neoliberale Trend einer zunehmenden Kommodifizierung von Raum kann auch in Wien beobachtet werden und scheint – mit einer historischen Ausnahmephase der De-Kommodifizierung, welche nachhaltig prägend war – stadtpolitisch immer dominanter zu werden.

Anfang des 20. Jahrhunderts reagierte der Kaiser auf breitflächige Demonstrationen aufgrund von Miet- und Lebensmittelteuerungen mit dem Erlass von Verboten der Mieterhöhung beziehungsweise Kündigungsschutzen in Mietverträgen, um Mieter_innen zu schützen und die soziale Lage zu beruhigen. Diese de-kommodifizierenden Tendenzen wurden ab 1919, dem Beginn der Ära des Roten Wiens, aufgegriffen: Die Sozialdemokratische Arbeiterpartei legte ihren Fokus auf die breitflächige Wohnungsversorgung unter Ausschluss privaten Kapitals und Mieter_innenschutz (Verlič 2014: 36f.). Im Vergleich zu den Zwischenkriegsjahren zeichnet sich im immer noch „roten“ Wien seit den Nachkriegsjahren ein zunehmender Re-Kommodifizierungsprozess ab. Vor allem seit den 1960ern findet eine zunehmende Vermarktwirtschaftlichung des Wohnungsmarktes statt, welche an der zunehmenden Beteiligung sozialer Wohnbauträger, Banken und privater Investor_innen, Subjekt- statt Objektförderungen und Deregulierungen der Mietbegrenzungen ablesbar ist. Daraus ergibt sich eine steigende Profitabilität des wachsenden privaten Wohnungsmarktsektors (ebd. 38).

1974 begann das Programm der „Sanften Stadterneuerung“, welches die Sanierung der Gründerbauten zum Ziel hatte. Um diese für private Investor_innen attraktiver zu machen, wurden bestimmte Ausstattungskriterien etabliert, an welche der Mietpreis gekoppelt war, und Mieteinfrierungen zeitlich begrenzt. 1994 wurden dann die sogenannten Richtwertmieten eingeführt, welche eine zunehmende Anpassung der Mieten an das Marktniveau erlaubten (ebd. 39f.).

Mayer nennt diese Tendenz, welche sie seit Beginn der 1970er ausmacht, „regulatory change“: Marktorientierte und –basierte Instrumente werden zunehmend als Lösungen regulatorischer Probleme herangezogen, um neue Möglichkeiten der Kapitalakkumulation zu schaffen. Städte gelten als Schlüsselarenen dieses Prozesses, da sich im Zuge der Urbanisierung Orte der Kapitalakkumulation dorthin verlagern, zum Beispiel in Form von Wohnungs- oder Arbeitssuchenden, Tourist_innen, Investor_innen etc. (Mayer 2013: 157).

Obwohl Wien im internationalen Vergleich nach wie vor einen hohen Anteil an sozialem Wohnbau hat, ist der immer dominantere Privatsektor von steigenden Preisen und einer kürzeren Behaltdauer von Wohn- und Geschäftsräumen geprägt (Verlič 2014: 42). Da das neoliberale System aber von Widersprüchen geprägt ist, öffnen sich immer wieder Räume mit Transformationspotential (Mayer 2013: 156).

Umkämpfter Raum in Wien: Beispiel Schwendermarkt (1150)

Der Schwendermarkt, welcher als täglicher Markt schon seit 1833 besteht, gilt heute in Wien als solch ein umkämpfter Raum mit Transformationspotential: Nachdem die Besucher_innenzahlen durch zunehmende Konventionalisierung des Lebensmittelhandels rückläufig waren, wurde der Markt 2003 verkleinert und eher erfolglos saniert (Mir 2015: Online). Vor circa einem Jahr stellte der SPÖ-Bezirksvorsteher des 15. Wiener Gemeindebezirks die Schließung des Schwendermarktes in den Raum, da alle Marktstände leer waren. Anrainer_innen, Marktverkäufer_innen und Unterstützer_innen reagierten darauf mit einer Bürger_inneninitiative. Mittlerweile sind alle Stände wieder vermietet und einiges tut sich am Schwendermarkt (Schrenk 2015: Online). Aus diesem Grund kann von einer Wiederaneignung und eigenmächtigen Neugestaltung dieses wichtigen Ortes der Nahversorgung und des Austausches ausgegangen werden, welche nun unter den alternativen Brillen des Commonings und der urbanen Resilienz genauer betrachtet werden sollen.

Die Theorie des Commonings ist eine mögliche alternative Perspektive, um Leerstand in den Blick zu nehmen. Commons sind Gemeingüter, welche nicht staatlich oder als Privateigentum sondern von den kollektiven Nutzer_innen der Ressource selbst verwaltet werden. Diese gemeinschaftliche Aneignung der Lebens- und Produktionsbedingungen kann auf vielseitige Art im Rahmen von Alltagspraxen geschehen (Kiczka 2014: 116f., 119).

Commoning basiert auf Kooperation, Interaktion, Vernetzung und kollektiver Verantwortung. Neue Räume der Verwirklichung werden geschaffen und mit hegemonialen kapitalistischen Machtverhältnissen und Prämissen wie Privateigentum, Kapitalakkumulation, Wachstumszwang und ausschließlicher Lohnarbeit gebrochen. Auf diese Weise kann die Selbstbestimmtheit und Emanzipation vergrößert werden und neue Austausch- und Versorgungsstrukturen geschaffen werden. Diese sollen aber keineswegs staatliche Verantwortungsbereiche ersetzen, sondern lediglich den imperialistischen Einfluss des Kapitalismus auf die eigene Lebensrealität zurückdrängen (ebd. 123-125).

Wichtig ist auch, dass die Gemeinschaft aus der lokalen Nachbar_innenschaft erwächst beziehungsweise an lokale historische, soziale, politische Strukturen anknüpft und so eine langfristige Befriedigung vorortiger Bedürfnisse gegeben ist. Leerstände können für die Bildung dieser Gemeinschaft den geeigneten Raum bieten, solange dieser nicht auf prekären Verhältnissen beruht, sondern genug Zeit und Sicherheit zum Experimentieren bietet (ebd. 126f.). Solange die Rahmenbedingungen stimmen, wie zum Beispiel die günstige Miete und gewisse Gestaltungsfreiheiten, können Nutzer_innen durchaus von Leerstandsnutzungen profitieren und so neue selbstbestimmte Gemeinschafts- und Lebensmodelle ausprobieren und etablieren (Ziehl 2014: 67).

Nachdem der leerstehende Markt 2014 Gerüchten zufolge abgerissen werden sollte, erkannten einige Bürger_innen seine wichtige Rolle als Nahversorger und Ort, an dem man gerne Zeit verbringt (Schrenk 2015: Online) und gründeten eine Bürger_inneninitiative, welche innerhalb kürüzester Zeit 1.700 Unterschriften zählte (Böhm 2015: Online). Durch das Engagement der Zivilgesellschaft sind mittlerweile alle Stände wieder vermietet und der Schwendermarkt wird durch die Gemeinschaft getragen.

Momentan wird der Stadtraum Schwendermarkt neu geplant, die Umsetzung soll ab 2018 erfolgen. Dazu ist im Sinne des Commonings eine Erfragung der Bedürfnisse aller Beteiligten wichtig, um langfristige Mitgestaltung zu ermöglichen. Die Gebietsbetreuung des 6., 14. und 15. Bezirks startete daher eine Umfrage mit 894 Anrainer_innen und Standler_innen (Mein Bezirk 2015b: Online; Wien.at 2015: Online). Dabei wurde mehrfach der Wunsch nach mehr Begrünung, gemütlichen Sitzgelegenheiten, längeren Öffnungszeiten für die Stände, regelmäßige Bauernmärkte, bessere Zugänge zum Marktplatz und konsumfreien Verweilmöglichkeiten geäußert (Österreich 2015: Online; Schrenk 2015: Online). Außerdem ergab die Umfrage, dass bereits jetzt mehr als zwei Drittel der Befragten die Angebote im Grätzel nutzen, davon am häufigsten die Gastronomie und den Markt. Aber auch Naherholung und Veranstaltungen sind spielen eine wichtige Rolle. Nur ein Drittel der Interviewpartner gaben an, den Platz lediglich zu queren und keine Angebote am Schwendermarkt gezielt zu nutzen (Mein Bezirk 2015b: Online).

Entspricht der Markt wieder mehr den Bedürfnissen der Anrainer_innen und wird von diesen mitgestaltet, kann eventuell mit neoliberalen Konsummustern gebrochen werden. Eingebunden in ein kommodifiziertes und konventionalisiertes System kaufen Anrainer_innen zurzeit noch mehr in Supermärkten ein. Der Markt bietet jedoch auch Raum zur Vernetzung, Nutzer_innen widmen mehr Zeit der Gemeinschaft und dem Austausch, was wiederum widerständiges Potential schafft (Mir 2015: Online).

Dieses Vernetzungspotential wird besonders relevant, wenn man die Sanierung als eingebettet in die projektierten Blocksanierungen betrachtet (Österreich 2015: Online). Diese wollen “klare Aufwertungsimpulse setzen und damit langfristig zu einer gesteigerten Wohn- und Lebensqualität beitragen “ (Wien.at 2015: Online). Es besteht demnach eine akute Gefahr der Gentrifizierung, die oftmals mit der Ausbeutung lokaler Initiativen und folglicher Vertreibung einhergeht. Die Mobilisierung der Anrainer_innenschaft ist daher wichtig, um die Resilienz in diesem Stadtraum zu steigern.

Vermag man durch gemeinschaftliche Aneignung und Nutzung leerstehender Räume neue dezentrale Versorgungsstrukturen zu schaffen, wird die urbane Gemeinschaft gestärkt und vorhandene Ressourcen besser genutzt. Dies stärkt vor allem in Zeiten der multiplen Krise die urbane Resilienz, also Widerstandsfähigkeit.

Besonders die Verbreitung subsistenter Lebensweisen werden im Prozess dieser Erschaffung neuer Möglichkeitsräume und im Hinblick auf Klimawandel, Finanz- und soziale Krise immer relevanter: Gemeinschaftsnutzung, Nutzungsdauerverlängerung, Eigenproduktion, gegenseitige Unterstützung und Austausch jenseits kommerzieller Konkurrenz kann Bedürfnisse auf eine nachhaltige Weise befriedigen (Ziehl 2014: 62f.). Außerdem werden durch die Neuinterpretation und Umstrukturierung bestehender Gebäude Ressourcen geschont und Städte verdichtet statt ausgebaut (Ziehl 2014: 65).

Um die langfristige gemeinschaftliche Nutzung von Leerstand und daraus entstehende urbane Resilienz zu sichern, müssen Gruppen, die ihre Zeit ehrenamtlich, freizeitlich oder innerhalb prekärer Dienstverhältnisse widmen, von der Stadtverwaltung unterstützt und nicht ausgebeutet werden (Ziehl 2014: 70).

Zwei Initiativen haben besonders zur Resilienzsteigerung im Stadtraum Schwendermarkt beigetragen, indem sie konsumzwangfreie Momente des interkulturellen Austausches gefördert haben:

Samstag in der Stadt ist als Initiative seit 2010 am Schwendermarkt aktiv. Sie propagieren das Recht auf Stadt eines/r jeden, indem sie ein Programm für die und mit der Nachbarschaft anbieten. Nadia Prauhart und Tamara Schwarmayr organisieren gemeinsam mit Anrainer_innen Feste, Konzerte, Workshops, bauen Hochbeete und Sitzgelegenheiten, bieten kostenlose Sozialberatung und gemeinsames Kochen, alles möglichst mobil und an lokale Strukturen angepasst. So entsteht am Schwendermarkt ein demokratischer und möglichst konsumfreier Raum, welcher eine weite Auffassung von Markt als Ort des Austausches vertritt (Samstag in der Stadt: Online).

Eine weitere Initiative, die im Januar 2015 am Schwendermarkt aktiv wurde, ist das Nebenan, eine Art offenes Wohnzimmer ohne Konsumzwang für die und mit der Nachbarschaft. Angeboten wurde ein Kostnix-Laden, Sprachcafés, Bastel-Workshops, kritische Filmabende, Nähcafés etc. Das Angebot war kostenlos und ermöglichte vielfältigen kulturellen Austausch und Vernetzung. Gemeinsam wurden materielle wie immaterielle Ressourcen geteilt, getauscht, recycliert und ein leerstehender Raum bespielt. Leider musste das Nebenan Ende Oktober 2015 aufgrund prekärer Mietverhältnisse schließen (Nebenan 2015: Online). Die Zwischennutzung der Schwendergasse 30 wurde vom/ von der Eigentümer_in beendet, da reguläre Mieter_innen gefunden wurden (Mein Bezirk 2015a: Online).

Die Entwicklungen am Schwendermarkt zeigen, wie Projekte bei den Lebensrealitäten der Anrainer_innen einhakten, sich mit der Nachbarschaft vernetzten und gemeinsam bedarfsorientiert den ehemaligen Leerstand wieder mit Leben füllten (Hirschmann/ Kiczka 2012: Online). Die Initiativen setz(t)en wichtige Impulse alternativer Stadtentwicklung von unten und zeigten Tendenzen, den Stadtraum Schwendermarkt gemeinschaftlich und gemeinwohl- statt profit-orientiert zu verwalten.

Das Nebenan scheiterte trotz seines wichtigen Beitrags leider an der Prekarität der Mietverhältnisse und liefert damit ein wichtiges praktisches Beispiel dafür, dass die langfristige Freigabe von Leerständen, wie sie von diversen Bewegungen gefordert wird, immer noch nicht ausreichend gehört wird. Die Absicherung solidarischer Alltagspraxen durch einen rechtlichen und stadtpolitischen Rahmen ist in Wien immer noch nicht gegeben (ebd.).

Auseinandersetzung der Stadt Wien mit Leerstand

Um die Umverteilung und Commonisierung von Leerstand voranzutreiben und Prekarisierung von Nutzer_innen und spekulativem Leerstand entgegenzuwirken, besteht in der Wiener Stadtpolitik großer Handlungsbedarf.

Die dreiteilige Studie zu Leerstand in Wien, welche von der IG Kultur und folglich der Magistratsabteilung 18 durchgeführt wurde, erfasst zentrale Problemlagen in Wien bezüglich Leerstand und gibt Empfehlungen für die Politik ab.

>> Zentralisierung und Datenerhebung: Wichtig wäre eine zentrale Erfassung der Leerstandsdaten, um eine Zusammenführung von Eigentümer_innen und Nutzer_innen zu facilitieren. Zurzeit verfügt Wien nicht über diese Daten (Hertzsch et al. 2013: 30). Dazu wird die Einrichtung einer eigenen städtischen Agentur vorgeschlagen. Bisher kümmern sich einige Magistratsabteilungen (7, 8, 15), die Wirtschaftskammer und Gebietsbetreuungen partiell darum (IG Kultur 2012: 9, 18).

>> Sicherstellung der Leistbarkeit: Momentan gibt es in Wien nur projekt-, aber keine raumbezogenen Förderungen, die sicherstellen, dass gemeinnützige Projekte sich einen Raum auch langfristig leisten können. Außerdem können auf der Eigentümer_innen-Seite zusätzliche Anreize zur Mietreduktion und Beständigkeit von Mietverhältnissen geschaffen werden (IG Kultur 2012: 18).

>> Emanzipation statt Instrumentalisierung: Eine Vielzahl an Gruppen, die Bedarf an Raum hat, sich diesen aber oftmals nicht leisten kann, sollte diesen gemeinwohl-orientiert bespielen dürfen, ohne dabei als neoliberaler Aufwertungsmotor instrumentalisiert zu werden (Hertzsch et al. 2013: 14).

Obwohl die Gründung einer Zwischennutzungsagentur schon länger im Raum steht, gibt es bisher noch keine ernstzunehmenden Umsetzungsversuche. 2016 soll aber eine Serviceagentur namens „Kreative Räume“ entstehen, welche einer neoliberalen Aufwertungslogik folgend Künstler_innen und Personen aus der Kreativwirtschaft den Zugang zu Leerstand, vor allem in Erdgeschoßbereichen, erleichtert (Wien Zwischennutzungsagentur Online; Glanz 2015: Online). Leider kommen bei dieser Entwicklung wiederum soziale, alternative Initiativen zu kurz.

Diskussion und Ausblick

Im Zuge der zunehmenden Kommodifizierung von Raum wird es in steigendem Ausmaße schwieriger, leistbare Räume für alternative, hegemoniekritische Projekte zu finden. Der Einfluss neoliberaler Praktiken auf die Politik ist im mangelnden Nachkommen nach Forderungen einer Stadt für alle spürbar und in Leerstand als umkämpftem Raum ersichtlich. Anhand des Beispiels des Schwendermarktes im 15. Wiener Gemeindebezirk konnte aber gezeigt werden, dass die widersprüchlichen Tendenzen des Neoliberalismus immer wieder umkämpfte Räume aufmachen und zahlreiche Initiativen die Chancen auf Mitgestaltung und Mitsprache nutzen. Ohne Unterstützung seitens der Stadtpolitik ist dieser Kampf ein zäher, und es bleibt zu hoffen, dass der Mehrwert sozial resilienten Commonings bald besser erkannt und adäquat gefördert wird – für eine Stadt, in der es Raum für jede/n gibt.

Die Autorin hat an der Universität Wien Soziologie und Internationale Entwicklung studiert. Der Essay ist im Rahmen der Lehrveranstaltung “Urbane Transformationsprozesse und das Recht auf Stadt” an der Universität Wien im Sommersemester 2015 entstanden.

Quellenverzeichnis

Hirschmann, Anna (2014): Disjunktive Raumproduktion. Strukturwandel und neoliberale Politik vom Leerstand aus betrachtet. In: Hejda, Willi (Hrsg.): Wer geht leer aus? Plädoyer für eine andere Leerstandspolitik. Wien: monochrom. 12-32.

Kiczka, Raphael (2014): Leerstand zu Commons machen! Die Commons-Perspektive als Kritikfolie und Hebel für eine emanzipative Stadtgestaltung. In: Hejda, Willi (Hrsg.): Wer geht leer aus? Plädoyer für eine andere Leerstandspolitik. Wien: monochrom. 116-133.

Mayer, Margit (2013): Urbane soziale Bewegungen in der neoliberalisierenden Stadt. In: sub/urban, Vol. 1, 155-168.

Verlič, Mara (2014): Die Enteignung des Möglichen. Die Bedeutung von Leerstand am Wiener Wohnungsmarkt. In: Hejda, Willi (Hrsg.): Wer geht leer aus? Plädoyer für eine andere Leerstandspolitik. Wien: monochrom. 34-53.

Ziehl, Michael (2014): Resilienz und Ressourcen in der Stadt. In: Hejda, Willi (Hrsg.): Wer geht leer aus? Plädoyer für eine andere Leerstandspolitik. Wien: monochrom. 62-72.

Online-Quellen

Böhm, Caroline (2015): Schwendermarkt: Spielball der Politik. Online: http://mokant.at/1501-schwendermarkt-spielball-bezirkspolitik/. [06.12.2015]

Glanz, Karl (2015): Das Projekt “Kreative Räume”. Online: http://charlykappel.blogspot.co.at/2015/04/das-projekt-kreative-raume.html [06.12.2015]

Hertzsch, Wencke/ Verlic, Mara/ Dangschat, Jens (2013): Perspektive Leerstand. Zum Themengebiet Leerstandsnutzung und deren Management anhand einer Good-practice-Analyse. In: Magistratsabteilung 18 – Stadtentwicklung und Stadtplanung: Stadtentwicklung Werkstattberichte , Vol. 139. Online: https://www.wien.gv.at/stadtentwicklung/studien/pdf/b008349.pdf. [06.12.2015]

Hirschmann, Anna/ Kiczka, Raphael (2012): Pioniere der Gentrifizierung oder Keimzellen des Widerstands. In: Kulturrisse. Nr. 3/2012. Online: http://kulturrisse.at/ausgaben/widersprueche-der-kreativen-stadt/oppositionen/201epioniere-der-gentrifizierung201c. [06.12.2015]

IG Kultur (2011): Perspektive Leerstand. Erster Teil einer dreiteiligen Studie zum Themengebiet Leerstandsnutzung, Zwischennutzungen, und Freiräume. Online: http://www.igkulturwien.net/fileadmin/userfiles/Studien/Studie_Perspektive_Leerstand_Teil1.pdf. [06.12.2015]

IG Kultur (2012): Perspektive Leerstand. Zweiter Teil einer dreiteiligen Studie zum Themengebiet Leerstandsnutzung, Zwischennutzungen und Freiräume in Wien. Online: http://www.igkulturwien.net/fileadmin/userfiles/Studien/perspektive_leerstand/studie-perspektiveleerstand-part2.pdf. [06.12.2015]

Initiative Schwendermarkt. Online: https://www.facebook.com/schwendermarkt. [06.12.2015]

Mein Bezirk (2015a): Rudolfsheimer Grätzel-Initiative “Nebenan” muss zusperren. Online: http://www.meinbezirk.at/rudolfsheim-fuenfhaus/chronik/rudolfsheimer-graetzel-initiative-nebenan-muss-zusperren-d1521953.html. [06.12.2015]

Mein Bezirk (2015b): Schwendermarkt neu: Das wünschen sich die Rudolfsheimer. Online: http://www.meinbezirk.at/rudolfsheim-fuenfhaus/chronik/schwendermarkt-neu-das-wuenschen-sich-die-rudolfsheimer-d1561490.html. [06.12.2015]

Mir. Kunst Essen Kino (2015): Auf dem Markt im Schwendermarkt. Online: http://www.kekinwien.at/essen/07/2015/auf-dem-markt-im-juli-2-serie-wien/. [06.12.2015]

Nebenan. Online: https://www.facebook.com/wirsindnebenan. [06.12.2015]

Österreich (2015): Schwendermarkt bekommt neues Gesicht. Online: http://www.österreich.at/chronik/Schwendermarkt-soll-ab-2018-neues-Gesicht-bekommen/213661756. [06.12.2015]

Samstag in der Stadt. Online: http://www.samstaginderstadt.at/. [06.12.2015]

Schrenk, Julia (2015): “Ein Ort, an dem man gerne Zeit verbringt”. In: Kurier, 21.11.2015. Online: http://m.kurier.at/chronik/wien/ein-ort-an-dem-man-gerne-zeit-verbringt/165.242.249. [06.12.2015]

Wien.at (2015): Ludwig/Zatlokal: Ergebnisse der BürgerInnenbefragung zum Schwendermarkt. Online: http://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20151126_OTS0078/ludwigzatlokal-ergebnisse-der-buergerinnenbefragung-zum-schwendermarkt. [06.12.2015]

Wien Zwischennutzungsagentur. Online: https://www.wien.gv.at/wirtschaft/betriebe/kreative-raeume.html. [06.12.2015]

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