von Justin Kadi
Ein paar Halbwahrheiten über Wohnen in Wien gefällig? Die Zeitung DieWelt berichtet heute wie Wien die “Traumstadt aller Mieter” wurde. Hier ist also, so erfährt man, alles wunderschön, architektonisch hochwertig, extrem günstig, gefördert und im öffentlichen Besitz. Ach ja, Segregation von Arm und Reich gibt es in Wien auch nicht. Und nicht zu vergessen, “die Wünsche der Mieter sind dem Wohnbaurat (sic!) sehr wichtig”. Verrückte Stadt an der Donau. “So wurde Wien zur Traumstadt aller Mieter” (sic!) gibt es hier nachzulesen: KLICK.
Undifferenzierte Lobhudelei auf die Wiener Wohnungspolitik ist übrigens ein zunehmend beliebtes Genre in deutschen Tageszeitungen. Da wird nach Wien geblickt und dabei eine, naja, sagen wir, dunkelrote Brille aufgesetzt. Anderes Beispiel? “Wohnungsbau in Wien: Das Mieter-Paradies“, berichtet der Berliner Tagesspiegel vor kurzem. Liest man hier, bekommt man leicht das Gefühl, in Wien liegen Menschen mit niedrigem Einkommen am Dach beim Pool und die Stadt Wien serviert ihnen kühle Cocktails gegen die Hitze. (Oder wie soll man dieses Titelbild deuten?) Und mehr oder weniger alles in öffentlichem Besitz. Quasi Kommunismus am Wiener Wohnungsmarkt. Oder wie schreibt die Welt? “Echte Kommunisten”.
Ein Schelm, wer diese Meldungen auch auf die PR-Bemühungen der Stadt Wien zurückführt. Nur weil die in den letzten Jahren immer wieder ihr Marketingbudget stark erhöht hat und besonders gerne mit ihrer Wohnungspolitik nach außen wirbt. Wie etwa im Wiener Wahlkampf, wenn der Bürgermeister mit Wohnungsschlüsseln zum wichtigen Plakatsujet wird; oder auch ganze Ausstellungen kuratiert werden, mit denen die Stadtverwaltung durch Europa tourt um ihre Erfolge zu feiern. Mit “großartiger Unterstützung” der zuständigen Magistratsabteilung, wie es da auf der Ausstellungswebsite heißt.
Die häufigen Referenzen zu Wien als Paradies könnte man aber vielleicht auch auf die Verzweiflung progressiver Stimmen in der deutschen wohnungspolitischen Debatte zurückführen. In der Tat, hier wird nach Orten und Städten gesucht, in denen die Situation nicht ganz so schlimm ist wie in Deutschland. In denen sozialer Wohnungsbau nicht hochgradig ausverkauft wurde und die Gemeinnützigkeit gesetzlich eingestellt wurde, wie in der Bundesrepublik. Und wenn es dann auch noch diese Ausstellung gibt, die einem erklärt, wie gut das in Wien noch alles funktioniert, und das schön anschaulich. Da hat man den Artikel für die nächste Zeitungsausgabe schnell fertig getippt.
Fatal nur, dass dabei eine realistische Einschätzung der Wiener Wohnungspolitik aus bleibt. Der undifferenzierte Lobgesang auf Wien schießt dabei einfach zu weit. Und vergisst, dass es das Paradies auf der Erde dann eben doch nicht gibt. Auch nicht an der schönen blauen Donau.
Was dann konkret fehlt ist eine Diskussion über die schrittweise Rekommodifizierung der Wiener Wohnungspolitik seit den 1990er Jahren, etwa im Bereich des Mietrechts oder im Bereich des sozialen Wohnungsbaus. Und ja, das Mietrecht wurde umfassend liberalisiert. Und ja, seit mehr als 10 Jahren wird kein Gemeindebau mehr gebaut. Und ja, ein Großteil des “sozialen” Wohnungsbaus ist heute für einkommensschwache Haushalte de facto unleistbar. Und ja, es wurde ein “Right-To-Buy” eingeführt im gemeinnützigen Wohnungsbau, dessen Folgen noch weitreichend werden könnten in den nächsten Jahren und eine markante Verkleinerung des geförderten Segments nach sich ziehen. Und ja, die Wartelisten für den Gemeindebau sind heute lange. Und zwischen 2001 und 2012 um nicht weniger als 140% nach oben geschnellt. Wer dazu lesen möchte klickt etwa hier: KLICK. Oder hier: KLICK
Auch fehlt ein Hinweis auf die drastischen Mietsteigerungen, besonders seit Mitte der 2000er in Wien. Und dass etwa zwischen 2000 und 2010 die Mieten in Wohnungen, die vor 1945 gebaut wurden, um 2/3 (!) gestiegen sind. Und dass befristete Mietverträge bei Neuvermietungen in Wien seit 2011 die Norm darstellen und die Zahl an befristeten Mietverhältnissen rasant steigt. Unbefristete Mietverträge für MieterInnen (Mieterschutz!) gibt es nämlich immer weniger. Und bei neuen Vermietungen kaum mehr. Wer dazu lesen möchte klickt hier: KLICK. Und wer sich über die kürzlichen rapiden Mietsteigerungen informieren will liest hier: KLICK
Auch fehlt ein Hinweis auf die rasanten Veränderungen im privaten Mietwohnungsmarkt und die fortschreitende Gentrifizierung der Stadt, die zunehmend vorangetrieben wird durch institutionelle Investments. Wohnungen in Wien werden zunehmend zur Geldanlage für privates Kapital. Und das lässt die Wohnungspreise in die Höhe schnellen. Wer dazu lesen will klickt hier: KLICK. oder auch hier: KLICK. Oder hier: KLICK. Wer lieber eine Fotoserie dazu sehen will klickt hier: KLICK.
Noch nicht genug? Weiter gehts. Auch fehlt ein Hinweis auf die rasant steigende Obdachlosigkeit in der Stadt. Ja, die Anzahl an Personen, die eine Schlafstelle für Obdachlose in Anspruch genommen haben ist allein von 2006 bis 2010 um 45% gestiegen. Obdachlosigkeit ist “in der Mitte unserer Gesellschaft angekommen”, so Markus Reiter, Leiter des Neunerhauses, in einem Interview auf diesem Blog. Zum Nachlesen: KLICK.
Unerwähnt bleibt auch, dass der Anteil an Leuten mit Leistbarkeitsproblemen in Wien in den letzten Jahren nach oben geschnellt ist. Während WienerInnen im Jahr 2004 im Schnitt 16% ihres Einkommens für das Wohnen gezahlt haben, waren es 2012 bereits 25%. Und für arme Haushalte sehen die Zahlen noch viel dramatischer aus. Wer dazu lesen will klickt hier: KLICK. oder hier: KLICK
Kein Hinweis findet sich auch auf die hohe Zahl an Delogierungen, die in Wien stattfinden. Im Schnitt 7 Delogierungen werden pro Tag im Wohnparadies Wien durchgeführt und Menschen verlieren ihr Zuhause, weil sie sich die Miete schlichtweg nicht leisten können. Besonders hohe Zuwächse bei den Delogierungen gab es kürzlich übrigens im Gemeindebau. Wer dazu lesen will klickt hier: KLICK.
Dass es in Wien “keine abgegrenzten Wohnviertel von Arm und Reich” gibt, wie uns DieWelt verklickern will, mutet auch als eine reichlich gewagte These an. Hat doch eine kürzliche Studie an der TU Delft gezeigt, dass sich die Dinge geändert haben: “The strong mixing of rich and poor in the Austrian capital city was eliminated in the first decade of the 21st century.” Details finden sich hier: KLICK.
Gänzlich unerwähnt bleibt auch die verzweifelte Situation vieler Geflüchteter am Wiener Wohnungsmarkt. Sie haben oft garkeine Chance legal unterzukommen und sind der Ausbeutung und Diskriminierung durch private Vermieter ausgesetzt. Details dazu gibt es etwa hier: KLICK.
Wie schön nur, dass in Wien alles wunderbar ist.
Justin Kadi ist Postdoctoral-Fellow am Institut für Europäische Urbanistik an der Bauhaus-Universität Weimar. Er forscht zu sozialer Ungleichheit, Wohnungspolitik und Gentrifizierung.
berliner sagt:
Danke für den Artikel! Auch der von mir geschätzte Soziologe/Gentrifizierungsforscher Andrej Holm hat Wien des öfteren als postives Beispiel dargestellt. Aber offensichtlich ist bei euch der Wohnungsmarkt genauso scheiße, wie überall auch. Sehr schade.