Justin Kadi
Mit 1. Juli wurde also die Wiener Bauordnung novelliert. Hausabrisse sind damit auch außerhalb von Schutzzonen genehmigungspflichtig. Die Verschärfung soll den Abriss von Gebäuden in Zukunft erschweren bzw. der Stadt mehr Eingriffsmöglichkeiten bieten.
Kein ganz neues Thema
Die Praxis Gebäude, insbesondere Gründerzeithäuser, abzureißen und im Anschluss durch Neubauten zu ersetzen ist schon länger Teil der Immobilienverwertung in der Stadt (siehe hier eine Liste gefährdeter Häuser der Initiative Denkmalschutz aus dem Jahr 2015). Erst in den letzten Monaten haben die Abrisse aber die Politik zum Handeln bewogen. Just in den Tagen vor der angekündigten Bauordnungsänderung sind zuletzt noch einmal besonders viele Gebäude demoliert worden. Gegenüber DerStandard spricht ein Abrissunternehmer von nicht weniger als sechs Gebäuden, die sein Unternehmen allein in den letzten Tagen abgerissen hat. Ein anderer berichtet von aktuell 25 Baustellen in der Stadt.
Die Hintergründe
Um den Abrissboom zu verstehen ist ein genauerer Blick auf die Entwicklung des Wiener Wohnungsmarkts seit Mitte der 2000er entscheidend. Der Wohnungsmarkt ist seither verstärkte Anlaufstelle für private Investoren. Besonders in den Zinshausmarkt fließt im Nachgang der Finanzkrise Kapital auf der Suche nach profitablen Anlagemöglichkeiten. Niedrige Zinsen und geringe Renditeaussichten in anderen Sektoren befördern die Verlagerung in den Immobilienmarkt. Laut aktuellem OTTO Zinshaus Marktbericht belief sich das Transaktionsvolumen im letzten Jahr im Gründerzeitzinshausbestand auf rund 982 Millionen. Inklusive der Nachmeldungen wird voraussichtlich zum dritten Mal hintereinander die Milliardengrenze überschritten. Seit 2009 haben Häuser um mehr als 9 Milliarden Euro den Besitzer gewechselt; wobei auf der Käuferseite Unternehmen dominieren.
Wien, weithin bekannt als Hauptstadt des sozialen Wohnbaus, wird damit zunehmend zum Spielplatz für private Immobilieninvestoren. Laut einem Report der Unternehmensberatung PWC (2018) war die Stadt im letzten Jahr europaweit unter den 10 aktivsten Immobilienmärkten, gemessen am umgesetzten Transaktionsvolumen. Die Ertragsmöglichkeiten sind im Vergleich zu anderen europäischen Städten mittlerweile durchaus lukrativ. Der Europachef des Immobiliendienstleisters CBRE fasst es kürzlich gegenüber DerStandard so: „War 2003 Wien noch die teuerste Stadt mit der niedrigsten Rendite in Europa, ist sie heute die billigste mit der höchsten Rendite“. Die hohe Ertragserwartung spiegelt sich in den steigenden Preisen wider, die für Kaufobjekte gezahlt werden. Im Zinshausmarkt wurde im Jahr 2009 im Durchschnitt noch ein Quadratmeterpreis von 300 bis 800 Euro bezahlt. Heute sind es bis zu 2400 Euro. Unter 1320 Euro pro Quadratmeter gibt es „mittlerweile kein Zinshaus mehr“, berichtet Richard Buxbaum, Wohnimmobilienexperte bei Otto Immobilien auf DerStandard.at.
Um die entsprechenden Ertragserwartungen zu erfüllen, werden Immobilien „optimiert“. Und hier kommt der Gebäudeabriss ins Spiel. Denn insbesondere für Gründerzeitzinshäuser haben Mietrecht und Bauordnung Abriss und Neubau zu einer profitablen Verwertungsstrategie gemacht. Der Kniff: Laut Mietrecht unterliegt der Altbau dem Vollanwendungsbereich des Mietrechts. Der Neubau nicht. Für eine sanierte Wohnung gelten damit noch immer die strikteren Mietrechtsregeln. Für eine neugebaute nicht. Und auch mit neugebauten Eigentumswohnungen lässt sich oftmals mehr verdienen als mit Mietwohnungen im Vollanwendungsbereich.
Besonders relevant wurde das unter den gegebenen Bauordnungsregeln. Denn außerhalb von Schutzzonen gab es kaum Hürden für einen Abriss; er musste nur gemeldet, nicht genehmigt werden (eine Übersicht der Schutzzonen übrigens hier). Bereits im September 2017 meinte ein Immobilienentwickler in der ORF Reportage Am Schauplatz: Abriss zahle sich aus und die Stadt Wien werde sich noch wundern wie viele Zinshäuser in den nächsten Jahren verschwinden.
Die Folgen
Im Weg sind bei dieser Verwertungsstrategie die Mieter_innen. Denn mit bestehenden Verträgen verhindern sie die Renditemaximierung. Um ein Haus trotzdem zu „optimieren“, werden verschiedene Methoden angewendet. Die Am Schauplatz Sendung berichtet etwa über ein Haus im 14. Bezirk, das offensichtlich dem Verfall preisgegeben wurde, um Mieter_innen zum Auszug zu drängen: „Die Eigentümer haben lange nichts mehr investiert, das Gebäude ist in einem katastrophalen Zustand. Schimmel an den Wänden, Wasserschäden und hausfremde Personen, die sich im Keller einquartiert haben, machen den Mieterinnen und Mietern das Leben beinahe unerträglich.“
Anders wurde in einem Haus in der Radetzkystraße im 3. Bezirk vorgegangen. Hier wurde trotz 9 aufrechter Mietverhältnisse mit dem Abriss begonnen. Bei dem Haus, einem der ältesten Zinshäuser mit neugotischen Elementen, wurde das Dach und der oberste Stock abgetragen, bevor die Bauordnungsverschärfung in Kraft getreten ist (die Baupolizei hat den weiteren Abbruch nun vorübergehend gestoppt). Hier gibt es ein Video mit einer Bewohnerin. Sie berichtet, dass die Eigentümer des Hauses in den letzten Jahren mehrfach gewechselt haben. MieterInnen wären “zum Auszug motiviert” worden.
Das Gebäude findet man nach kurzer Suche im Internet auf der Website der Firma Nadland. Dort heißt es treffend: „Recently Nadland Immoinvest has begun strongly delving into the „new-project“ development by purchasing plots or constructions to be torn down and modern buildings constructed in its place“. Laut Kurier ließ der Besitzer des Hauses vor kurzem auch ein Haus in der Baumgasse abreißen, in dem nun luxuriöse Eigentumswohnungen mit Terrassen entstehen sollen. Details auf der Website des Projekts „Zur Goldenen Linde“ – Preise für die Wohnungen sind unbekannt.
Eine andere Strategie um Mieter_innen loszuwerden ist das bezahlen von Ablösen, wie etwa im Fall des Hauses in der Hetzgasse im 3. Bezirk, das letztes Jahr für Diskussionen gesorgt hat. Was im ersten Moment nach einem lukrativen Angebot klingen kann, sollte aber gut überlegt sein. Eine Ablöse von beispielsweise 50.000 Euro mag erstmal viel erscheinen. Kostet die neue Wohnung monatlich 700 Euro mehr – was beim Wechsel von einer Kategoriemietzinswohnung in eine Richtwertwohnung schnell der Fall sein kann – ist dieses Geld allerdings in nur 6 Jahren aufgebraucht. Dazu kommen schwer monetarisierbare psychologische Kosten, die mit dem Verlust des langjährigen Zuhauses und dem Umzug entstehen können.
Mit dem Boom am Zinshausmarkt professionalisiert sich auch die Verdrängung. Eigentümer in Wien können sich mittlerweile eigener Firmen bedienen, die sich auf die „Ausmietung“ von MieterInnen spezialisiert haben. Die Firma EVL-Invest etwa verspricht: „Wir schaffen Freiraum (Sic!) für Ihre Projekte. Überlassen Sie die Ausmietung uns Profis.“ Angekündigt wird die explizit „seriöse Mieterbetreuung und Ausmietung von Zinshäusern die generalsaniert, bzw. deren Grundstücke neu bebaut werden sollen“ und die Herbeiführung von „primär (Sic!) einvernehmliche[n] Lösungen“. Laut Website hat die Firma bereits „einige hundert Mietverhältnisse“ aufgelöst. Unter den Referenzen finden sich Adressen in vielen Innenstadtbezirken. „Menschen mit Migrationshintergrund“ sind scheinbar besonders häufig von den Methoden der Firma betroffen. So werden diese neben „Mietern und deren Angehörigen“ eigens als Gruppe aufgeführt, mit denen die Firma im Auftrag von Eigentümern verhandelt. Eine andere Firma ist teamneunzehn.at. Unter den Leistungen die „über die ‚ordentliche Vermietung‘ hinausgehen“, liest man hier die „Ausmietung von unbefristeten Mietverhältnissen zur Wertsteigerung ihres Objekts“.
Unabhängig von der konkret angewendeten Methode der Verdrängung steht am Ende in der Regel der Verlust des preiswerten Wohnraums in der Stadt. Abriss und Neubau wird damit zum Motor der Verdrängung und befördert, dass sozial benachteiligte Haushalte vor zunehmend größeren Hürden stehen in zentral gelegenen Wohngebieten eine bezahlbare Wohnung zu finden.
Zahlen fehlen
Wie viele Häuser in den letzten Jahren abgerissen wurden ist unklar. Die Statistik Austria verweist auf Anfrage auf die Stadt Wien. Die Stadt wiederum behauptet gegenüber DerStandard kürzlich keine genauen Zahlen zu kennen: „Wieviele der alten Gründerzeithäuser 2017 verschwanden, weil sie abgerissen wurden, weiß man indes weder bei OTTO Immobilien, noch bei der Stadt Wien auf Standard-Anfrage: ‚Abrisse, die in keiner Schutzzone stattfinden, sind nicht bewilligungspflichtig‘, sagt Hannes Kirschner, Sprecher der Baupolizei (MA 37).“ Etwas verwunderlich, sind ja Abrisse auch außerhalb von Schutzzonen meldepflichtig, womit für jedes zum Abriss geplante Haus eine Meldung bei der Baupolizei vorliegen müsste. Die OTTO Zinshausberichte gehen von einem Rückgang des Gebäudebestands im (nach OTTO Kriterien definierten) Zinshaussektor von 7% seit 2009 aus, was 1.086 Häusern entsprechen würde. Darunter fallen aber auch Gebäude, die parifiziert und in Eigentumswohnungen umgewandelt wurden und damit nicht mehr als Zinshaus laut OTTO Definition gelten. Die Wiener Grünen werden in einem Zeitungsbericht kürzlich damit zitiert, dass allein im Jahr 2017 100 Häuser in der Stadt abgerissen wurden.
Der EHL Zinshausbericht gibt Hinweise darauf, dass bestimmte Bezirke stärker als andere betroffen sind. In manchen, wie etwa dem 7. Bezirk, wird dem Abriss eine untergeordnete Rolle in der Immobilienverwertung zugewiesen: „Abrisse von Zinshäusern finden praktisch nicht statt“. In der Brigittenau ist das anders. Unter der Überschrift “Abriss und Neubau dominiert in Brigittenau” heißt es da: „Anders als in der Leopoldstadt, wo Um- und Ausbau des Bestands dominieren, versuchen Entwickler hier aber zunehmend, die Objekte bestandsfrei zu machen, um sie nach einem Abriss neu entwickeln zu können.“ Die genaue Zahl an abgerissenen Häusern wird sich wohl erst in den nächsten Wochen herausstellen, sofern entsprechende Zahlen von der Stadt freigegeben werden.
Bauordnung geändert – Problem gelöst?
Die Bauordnungsänderung erschwert nun die Möglichkeiten, Gebäude ohne größere regulative Hürden abzureißen. Gelöst ist das Problem, dass preiswerter Wohnraum durch Immobilienverwertung verloren geht, damit aber nicht. Die Immobilienwirtschaft hat in den letzten Jahren andere Strategien entwickelt um regulative Lücken auszunützen und das investierte Geld gewinnbringend zurückzuverdienen: zu hohe Miete im Vollanwendungsbereich verlangen – eine wenig riskante Option bei der geringen Sanktionierung im Mietrecht; die regelmäßige Anpassung der Lagezuschläge mit Abschluss neuer Mietverträge, oder Parifizierung und Verkauf von Mietwohnungen.
Hinter all diesen Verwertungsstrategien liegt der grundsätzliche Widerspruch, dass die Nutzung von Wohnungen als Anlageobjekt nicht vereinbar ist mit preiswerten Mietverträgen. Hausabriss ist Teil dieses Interessenskonflikts zwischen Wohnraum als Ware und Wohnraum als soziales Grundbedürfnis. Die Spielregeln für diesen Konflikt werden von den wohnungspolitischen Rahmenbedingungen definiert.
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