Die Frankfurter Allgemeine Zeitung veröffentlicht dieser Tage eine Serie von Karten zum Thema “Gespaltene Stadt” und fragt sich, ob die Spaltung deutscher Großstädte zwischen 1991 und 2005 zugenommen hat. Vor diesem Hintergrunf werden sechs Großstädte betrachtet: Essen, Frankfurt, Berlin, Köln, Leipzig und Stuttgart.
Die interaktiven Karten zeigen in ihrer Färbung, dass die Spaltung in den untersuchten Städten durchwegs zugenommen hat. Besonders stark sind die Veränderungen laut farblicher Skalierung in Stuttgart und Berlin.
Die Operationalisierung des Konzepts “Spaltung der Stadt” wirft allerdings einige Fragen auf. Die Artikelunterschrift suggeriert, dass es in den Karten um die Veränderung von einkommensbedingter Segregation in deutschen Städten geht, wenn es heißt: “Großstädte teilen sich immer heftiger in arme und reiche Wohnviertel. Unsere interaktive Grafik zeigt an sechs Städten, wie es früher war und wie es heute ist.”
Simpel ließe sich dies zum Beispiel darstellen durch eine Karte mit positiver / negativer Veränderung im Medianeinkommen eines Viertels im Vergleich zum Medianeinkommen in der gesamten Stadt. Verändern sich einige Viertel positiv in ihrer Abweichung und andere negativ, könnte das als ein Indikator für zunehmende Einkommensegregation herangezogen werden. Eine andere Möglichkeit wäre eine Indizierung der Viertel gemessen am reichsten Viertel. Nimmt der Unterschied des Medianeinkommens in ärmeren Vierteln gemessen zum Medianeinkommen im reichsten Viertel ab, kann das als Indikator für eine Abnahme in der Einkommenssegregation herangezogen werden, und vice versa.
Die in der FAZ dargestellten Karten wählen allerdings einen wesentlich simplifizierteren Weg. Die “Spaltung der Stadt” wird operationalisiert durch den Anteil an Sozialhilfeempfängern in einem Viertel. Weisen also im Jahr 1991 zum Beispiel drei Viertel in der Stadt einen Sozialhilfeempfängeranteil > 15 % auf und im Jahr 2005 zum Beispiel fünf wird das – so suggerieren jedenfalls die Karten – als eine zunehmende Spaltung der Stadt interpretiert.
Dieser Schluss scheint allerdings problematisch. Unklar bleibt beim Heranziehen des Sozialhilfeempfängeranteils, wie sich die Einkommen von denen mit hohem Einkommen verändert haben. Auf Ebene eines Viertels mit steigendem Sozialhilfeempfängeranteil wäre es durchaus möglich, dass auch die Einkommen von jenen mit höherem Einkommen gesunken sind, und daher der steigende Anteil derer mit Sozialhilfe nicht zu einer Spaltung des Viertels geführt hat. Auf Ebene der Stadt ist es ebenso möglich, dass auch in jenen Vierteln in denen sich der Anteil der Sozialhilfeempfänger nicht verändert hat – oder sogar zurückgegangen ist – die Einkommen von höherverdienenden verringert haben – und damit gesamtstädtisch die Einkommenssegregation nicht zugenommen hat. Veränderung von höheren Einkommen sind allerdings mit dem Indikator “Anteil an Sozialhilfeempfängern” nicht abzubilden, schon allein deshalb, weil geringe Veränderungen in hohen Einkommen nicht dazu führen, dass Haushalte unmittelbar zu Sozialhilfeempfängern werden. Die gezogenen Schlüsse erscheinen daher äußerst fragwürdig.
Noch fragwürdiger ist allerdings die auf der problematischen Operationalisierung beruhenden Legendenbeschriftung der Karten. Der Anteil der Sozialhilfeempfänger wird hier abgestuft von niedrig nach hoch wie folgt:
- Armes Viertel (15 und mehr)
- Gefährdetes Viertel (10 bis 15)
- Gutes Viertel (5 bis 10)
- Reiches Viertel (0 bis 5)
Zwei Problem hierbei: Erstens kann, analog zum oben beschriebenen Beispiel, auf Basis des Indikators “Anteil Sozialhilfeempfänger” kein Schluss gezogen werden über die Einkommenssituation in einem gesamten Viertel. Es ist durchaus möglich, dass in einem Viertel der Anteil der Sozialhilfeempfänger steigt, die Einkommen der reicheren Haushalte allerdings ebenso steigt, und damit das Viertel – im Durchschnitt – reicher (!) wird. Das würde zwar auf eine zunehmden Spaltung des Viertels hinweisen – da aber die Einkommenssituation der reichen Haushalte unbekannt ist, kann nicht der Schluss gezogen werden, dass das Viertel insgesamt ärmer geworden ist.
Das zweite Problem ist ein politisches, nämlich die normative Beschriftung. Die Skala “arm – gefährdet – gut – reich” suggeriert recht eindeutig, dass reiche Viertel gut, arme Viertel schlecht sind. Dieser Kategorisierung fehlt nicht nur der Bezug zur Ausgangsfragestellung, i.e. die Spaltung der Stadt, sondern deutet sie auch darauf hin, dass die Politik danach streben sollte, arme Viertel zu bekämpfen und reiche Viertel zu fördern.
Aus dem amerikanischen Kontext sind Programme bekannt, in denen arme Haushalte in reichere Viertel umgesiedelt werden im Rahmen von Sozialwohnungsbaureduktionsmaßnahmen. Die wissenschaftliche Erkenntnis darüber, dass arme Haushalte besser dran sind, wenn sie nahe bei reichen Haushalten wohnen, als wenn sie nahe bei armen Haushalten wohnen ist allerdings bis jetzt sehr unklar. Im Gegenteil gibt es einige Studien, die die positiven Aspekte von Segregation aufzeigen. Eine andere Variante die Einkommenssegregation zu verringern wird in den Niederlanden seit Jahren versucht. Dort werden systematisch reichere Haushalte in ärmere Viertel gelockt, vor dem Argument dass sie “das Viertel” aufwerten. In der Realität führt die steigende Kaufkraft allerdings nicht nur zu einer Verbesserung der Einkaufs- und Wohnangebote in den Vierteln, sondern macht sie auch zunehmen unleistbar für ursprünglich ansässige, ärmere Haushalte. Eine dritte Variante, “schlechte”, arme Viertel zu verringern, wäre eine Stadt zu fördern, in der nur reiche Haushalte wohnen, arme Haushalte allerdings außerhalb, da sie ja Viertel zu “schlechten” Vierteln machen. Das, allerdings, würde wohl gänzlich der Idee einer ungespaltenen Stadt zuwiderlaufen.
Ein Ergebnis der Untersuchung scheint allerdings klar: die Armut in deutschen Städten nimmt zu. Die räumliche Manifestierung dieser Armut ist ein wichtiges Element. Der Kern ist allerdings die Frage, wie sozialpolitische Maßnahmen ausschauen können um Armut zu verringern. Ein rein räumlicher Fokus greift hier – wie mittlerweile aus unzähligen Studien bekannt – eindeutig zu kurz. Mit geeigneten Maßnahmen zur Verringerung von Armut löst sich auch die Frage von räumlicher Polarisierung – wenn sie denn existiert – und wenn sie denn tatsächlich ein Problem darstellt.
Der Link zu den Karten übrigens nochmal hier.