Das grüne Wunder von Wien

The Austrian Miracle

Wien ist ja bekanntlich anders – zumindest wenn es nach der Dauerbeschallung der Wiener Stadtvermarktung geht. Und ab und an gibt es dann auch noch ein Wunder. So lobt Dardis McNamee – Gründerin und Herausgeberin der englischsprachigen Wiener Monatszeitung “Vienna Review” – in einem Artikel in “Foreign Policy” die Österreichische Sozialpartnerschaft und die in Wien doch noch eher keynesianische Wirtschaftspolitik in den Status eines Wunders. Das ist insofern beachtlich als diese Zeitung – also nicht die von McNamee sondern “Foreign Policy” – weltweit von vielen in Außenpolitik und Diplomatie gelesen wird – ein gewaltiger Marketingerfolg also.

Nun haben die Wunder von Wien eher die Eigenschaft nicht einzutreten. Franz Schellhorn schreibt in der Presse auch gleich fleiߟig dagegen an. Er meint sinngemäß das einzige Wunder seien die Schulden und dreht als Gegenposition eine gute alte neoliberale Schallplatte: nämlich dass hier “Wohlstand konsumiert wird, der nie erwirtschaftet worden ist”. Nur die Presse wird im Ausland wohl kaum jemand lesen.

Das Wunder von Wien

Soweit so langweilig. Aber es gibt ja nun ein wahres “Wunder von Wien”: eine grüne Partei, die plötzlich Sozialpolitik betreibt. Ob nun da die Alternative Liste aus dem Keller wiederauferstanden ist und das gute alte Melonenprinzip (außen grün und innen rot – für die, die diesen entsetzlich alten Witz noch nicht kennen sollten) wieder da ist?

Ich versuche eine Rekonstruktion der Ereignisse:

In Deutschland gibt es schon länger Mietproteste. In Berlin erreichten diese rund um das letzte Wochenende das erste Mal breite Medienaufmerksamkeit – wohl auch weil der Nachfrageüberhang mittlerweile absurde Ausmaße annimmt. In Wien ist angeblich nichts mehr zu holen und die institutionellen Investoren ziehen weiter.

Do. 8. 11.

Das grüne Wunder von Wien fängt wohl an am 8. November 2012: mit einer Aussendung von David Ellensohn mit dem Titel “Österreich braucht eine umfassende Mietrechtsreform”. Ellensohn ist Klubchef der Wiener Grünen und hat – laut seiner Webseite  – die “Schwerpunkte: Soziales, Wohnen, Umverteilung”. In der Aussendung fordert Ellensohn eine Ausweitung der Gültigkeit des Mietrechtgesetzes (MRG) auf alle Wohnungen die älter sind als 30 Jahre.

Fr. 9. 11

Am nächsten Tag legt die Vizebürgermeisterin nach und fordert – interessanterweise via Österreich – eine “Obergrenze von 7 Euro pro Quadratmeter in Wien” und das diese Frage ein Teil der Parkpickerl-Volksbefragung im Februar werden solle. Es ist ihr natürlich klar, dass das eine Bundesmaterie ist. Ob das dazu dienen soll der ÖVP eine Revanche für das Parkpickerl zu servieren ist unklar. Ein wenig unklar bleibt auch in der Plattheit der “7 Euro” was das für 7 Euro sein mögen – wahrscheinlich sind es die Mietkosten ohne Steuern und Betriebskosten. Laut Martin Stuhlparrer in der Presse – der  natürlich keinerlei Probleme am Wiener Wohnungsmarkt erkennen kann –  ist der momentane durchschnittliche Neuvermietungs-Preis bei Wohnungen die dem MRG unterstellt sind etwa €7,7 – also etwa 10% über dem geforderten Wert. User im Standard toben und bezeichen das als “Kommunismus” – wohl im blanken Unwissen, dass es bereits Preisregulation gibt und dieser trotzdem noch immer nicht da ist. Da haben wohl zu viele eine teure Anlagewohnung gekauft und fürchten um deren Wert.

FPÖ und ÖVP stellten sich natürlich auch gleich gegen diesen Vorschlag und Ellensohn kontert denen sei wohl “Gratisparken wichtiger als leistbare Wohnungen”. Michael Pisecky, Obmann der Fachgruppe Wien der Immobilientreuhänder warnt vor dem Verfall der Stadt weil so ja niemand mehr investieren würde. Michael Pisecky kann es scheinbar noch ein wenig absurder. So schreibt er in einem Kommentar auf der Plattform wien-heute, dass die Mieten in Wien nur im Bereich der Inflationsrate gestiegen seien – angeblich eine Studie der Wirtschaftskammer Wien. Die “Preissteigerungs-Verschwörung” zieht aber bereits weite Kreise – nicht nur die Grünen, sondern sogar die Presse behauptet die Mieten stiegen stärker als die Einkommen.

Mo. 12.11.

Am Montag – also am 12.November – gibt es erste Bewegung in der SPÖ. So meint Hanno Csininko, Sprecher des Wohnbaustadtrats: “Dass das Thema Wohnen bei der Volksbefragung kommt, ist sehr realistisch” und Ludwig habe sich bereits in der Vergangenheit die Einführung von Mietzinsobergrenzen gewünscht. Später meldet sich auch SPÖ-Klubobmann Rudolf Schicker zu Wort. Er meint, der Vorschlag von Vassilakou sei “etwas plakativ”. Ellensohn gibt ein Interview im Standard, in dem er erneut Regulation und auch Kampf gegen Leerstand fordert.

Di. 13.11.

Am 13. November – bei der wöchentlichen Bürgermeisterpressekonferenz – kommentiert erstmals Michael Häupl die Debatte und verkündet, dass er dazu öffentlich nichts sagt, außer dass es schon sein könne, dass darüber abgestimmt wird. Andere Sozialdemokraten scheinen nicht ganz so wortkarg. So hält Bundeskanzler Werner Faymann die Debatte zumindest für “begrüßenswert”. David Ellensohn legt nach und fasst seine Position in fünf Punkten zusammen:

  • Ausweitung des Anwendungsbereichs des MRG (Mietrechtsgesetzes)
  • Faire, transparente und überprüfbare Mietzinsobergrenzen
  • Instandhaltungsverpflichtungen im Gesetz regeln
  • Vermieterabgaben raus aus den Betriebskosten
  • Beschränkung bei Befristungen

Die Bundessprecherin der Grünen Eva Glawischnig gibt ein Interview im Standard, in dem sie eine umfassende Reform des gesamten Mietrechts fordert. So wie Ellensohn argumentiert sie hauptsächlich mit mittelständischen Familien, für die Wohnraum immer weniger leistbar würde.

Mi. 14.12.

Am Mittwoch, den 14., meldet sich schließlich Michael Ludwig als Wiener Wohnbaustadtrat via Rathauskorespondenz umfangreicher zu Wort. Er fordert dabei:

  • Wohnkosten begrenzen durch Deckelung der Zuschläge mit 25 %
  • Befristete Mietverträge sind weitgehend einzuschränken
  • Gleiche Mietpreise für neue HauptmieterInnen geförderter Eigentumswohnungen
  • Gleiche Rechte für HauptmieterInnen von WohnungseigentümerInnen

Die Differenzen zwischen dem Wohnbaustadtrat – der nun nachgezogen ist und seine Position interessanterweise als “Wiens Forderungen” betitelt – und Ellensohn scheinen also hauptsächlich bei der Frage der Verrechenbarkeit von Betriebskosten und den Erhaltungsverpflichtungen. Das wirkt nicht so überraschend, würden doch diese Punkte die Gemeinde als größten Vermieter selbst verpflichten. Die Forderung nach “gleichen Rechten für HauptmieterInnen von WohnungseigentümerInnen” ist wohl keine Differenz: Ellensohn hatte das bereits am 7. November gefordert.

Thomas Hofer, Politikberater, sieht in einem Standard-Interview in den Aktionen der Grünen vorrangig “Agenda-Cutting” – also den Versuch das Parkpickerl zu überdecken (überkleben?). Über die linken Positionen der Wiener Grünen zeigt er sich wenig überrascht auch wenn er denkt, dass es sie wohl daran hindern wird der ÖVP WählerInnen abzuwerben – in Wien gibt es da aber wohl eh kaum jemanden zu gewinnen. Eher sieht Hofer das langfristig ein Problem für die SPÖ wenn die Grünen weiter in ihrem Themenbereich fischen.

Do. 15.11.

Heute – also am 15. November – meldet sich schließlich Christoph Chorherr zu Wort. Chorherr ist der Melonen-Grünen Existenz wohl ziemlich unverdächtig – er gilt als pragmatisch und eher dem rechteren Teil der Wiener Grünen zugehörig. Er diskutiert eher breit die möglichen Hintergründe von Preissteigerungen wie Stadtwachstum und die Nachfrageblase durch die Finanzkrise. Als Maßnahmen sieht er eher Dinge wie Planwertabgaben, Wohnbauanleihen aber durchaus auch eine Vereinfachung des Mietrechts und eine Begrenzung von Zuschlägen. Schließlich stellte sich Vassilakou dem Standard-Publikum. Dabei wiederholen sich die gleichen Argumente und am Ende wird dann doch noch eine Parkpickerl-Debatte daraus. So wichtig kann Wohnen wohl nicht sein.

Weiter?

Mich amüsiert vorrangig die Verbindung von Parkpickerl und Mieten. Das ist zwar wohl eher ein Zufall oder ein Versuch, der ÖVP etwas entegegen zu setzen – Ich sehe da aber einen inhaltlichen Zusammenhang. Das Parkpickerl ist ein Versuch der Attraktivierung innerstädtischer Wohnlagen – damit versucht man auch innerstädtisches Wohnen für Familien wieder attraktiver zu machen. Durch steigende Energiekosten wird ein Wohnen in Suburbia teurer – dadurch steigt die Nachfrage in Wien. Will man keine gespaltene Stadt, wo am Ende Menschen in den suburbanen Einfamilienhaussiedlungen der letzten 50 Jahre eingesperrt sind, weil sie sich die Wege raus nicht mehr leisten können, so muss man wohl darüber streiten, wie städtischer Wohnraum leistbar sein kann.

Und es geht weiter. Etwa mit einer Pressekonferenz von David Ellensohn morgen. Und natürlich mit den wilden Mieterprotesten.

3 Kommentare

  1. robert poth sagt:

    Diese neue Debatte über die Leistbarkeit des Wohnens ist m.E. dringendst nötig, und ich freue mich auch über die Existenz von urbanizm.net. Die aus der Zeit der Großen Koalition (wenn ich mich nicht irre) stammenden Absurditäten wie die Ausweitung der Befristbarkeit von Mietverträgen beurteile ich als eine Art Etappensieg der Rentiers. (Schema: Wenn sich bloßer Besitz nicht mehr rentiert, dann soll der Staat dafür sorgen, dass das wieder der Fall ist. Toll.)

    Anekdotisches: Ich lebe im Zentrum einer Boboisierungszone (Yppenplatz), mit um sich greifenden Dachgeschossausbauten, wegsterbenden AltmieterInnen, modernen NomadInnen (qua befristete Mietverträge) und HauseigentümerInnen, die sich die Hände reiben können, weil die Zinshaus- und Grundstückspreise ohne ihr Zutun nach oben streben. Ich kenne die meisten Leute im eigenen Haus kaum mehr (sie wechseln zu rasch; Solidarität unter MieterInnen kann sich derart nicht mehr entwickeln), und es beruhigt mich nicht unbedingt, dass mein Hauseigentümer ein bezifferbares Interesse an meinem Ableben hat (unbefristeter Mietvertrag, hört, hört).
    Eine meiner Bekannten zieht nun weg aus Wien, weil sie sich die letzte Erhöhung ihrer Mietkosten (befristeter Mietvertrag) nicht mehr leisten kann, und wird zur Pendlerin. Womit auch die Verbindung mit den Parkpickerln gar nicht so abwegig erscheint …

Kommentieren

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Die Kommentare geben nicht die Meinung der AutorInnen dieses Blogs wieder. Wir behalten uns jederzeit vor Kommentare zu entfernen - diesfalls können keine Ansprüche gestellt werden. Weiters behalten wir uns vor Schadenersatzansprüche geltend zu machen und strafrechtlich relevante Tatbestände zur Anzeige zu bringen. Wir bitten darum, uns bei Verdacht auf entsprechnde Vorkommnisse zu kontaktieren.